Plakat einer Demonstration

ORF/JULIANE NAGILLER

Radiokolleg - Risse durch Europa

Anfänge und Herausforderungen der EU (4). Gestaltung: Juliane Nagiller

1967 stellte Großbritannien zum zweiten Mal einen Beitrittsantrag an die Europäische Gemeinschaft. Und zum zweiten Mal scheiterte der Beitritt am Veto Charles de Gaulles. Die Insel würde sich in ihrer Natur und ökonomischen Ausrichtung zu sehr von den Kontinentalstaaten Europas unterscheiden, war der französische Staatspräsident überzeugt. Im selben Jahr trat der Fusionsvertrag in Kraft. Er fasste die Organe der drei Gemeinschaften EGKS, EWG und Euratom zusammen. Die sechs Gründungsstaaten der EU profitierten von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und waren gewillt diese weiter zu vertiefen - vorerst jedoch ohne Großbritannien.

Die Befürchtung den wirtschaftlichen Anschluss zu verpassen, spornte Großbritannien vor 50 Jahren an Teil des Europäischen Integrationsprojektes zu werden. Heute sind es vor allem wirtschaftliche Bedenken, die zum Votum für einen Austritt führten. Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union kommt der Artikel 50 des EU-Vertrags zur Anwendung. Nicht nur eine technisch-logistische Herausforderung, sondern auch eine emotionale. Der Brexit rüttelt an den Grundpfeilern der Europäischen Union. Statt einer "ever closer union" plädieren mittlerweile einige für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten.

Eine instabile Euro-Zone, europakritische Parteien und der Austritt Großbritanniens: die Europäische Union scheint zu bröckeln. Wieder einmal. Denn seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise steckt die EU in einer Dauerkrise. Darunter leidet auch ihr Image. Strenge Sparauflagen in Griechenland, überfüllte Flüchtlingslager in Italien und Steuerparadiese auf Malta: die EU als Wohlstands- und Friedensprojekt wirkt nicht mehr glaubhaft. Sobald europäische Solidarität gefragt ist, kommen die Interessen der europäischen Nationalstaaten zum Vorschein, die kontinuierlich die Arbeit an einem geeinten Europa unterwandern.

Nach wie vor vertraut jeder zweite EU-Bürger, jede zweite EU-Bürgerin der Europäischen Union. Vor allem unter Jüngeren und gut Ausgebildeten ist das Vertrauen hoch. Doch viele Menschen empfinden die EU auch als sperrig und ungerecht. Ein gemeinsamer Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung sollten das Friedensprojekt EU dauerhaft absichern. Doch der Euro hat die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den europäischen Staaten verstärkt anstatt sie einander anzupassen. Während die Mitgliedsstaaten im Süden sich noch immer nicht von der Euro-Krise erholt haben, verzeichnet Deutschland jedes Jahr höhere Exportüberschüsse.

Die Reformideen gehen derzeit diametral auseinander: Braucht Europa mehr Integration oder ein Europa der Nationalstaaten? Kann man die Eurozone noch retten oder sollte man sie geordnet auflösen bevor sie von selbst zerfällt? Und wie kann man die Europäische Union so gestalten, dass sie eine Union der Bürgerinnen und Bürger ist?

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Literatur:

Ulrike Guérot: Der neue Bürgerkrieg. Das offene Europa und seine Grenzen, 2017, Ullstein Verlag, Berlin.
Ulrike Guérot: Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie, 2016, Dietz Verlag.
Ivan Krastev: Europadämmerung. Ein Essay, 2017, Suhrkamp Verlag.
Hans-Werner Sinn: Der Euro. Von der Friedensidee zum Zankapfel, 2015, Hanser Verlag.
Hans-Werner Sinn: Der Schwarze Juni. Brexit, Flüchtlingswelle, Euro-Desaster - Wie die Neugründung Europas gelingt, 2016, Herder Verlag.
Simon Hix und Bjørn Høyland: The Political System of the European Union, 2011, Palgrave Macmillian.
Frank R. Pfetsch: Die Europäische Union, 2005, UTB Verlag.
Yanis Varoufakis: Das Euro-Paradox. Wie eine andere Geldpolitik Europa wieder zusammenführen kann, 2016, Antje Kunstmann Verlag.
Roman Léandre Schmidt: Lettre Internationale: Geschichte einer europäischen Zeitschrift, 2017, Wilhelm Fink Verlag.
Guillaume Duval: Modell Deutschland? Nein Danke! Französische Anregungen für die Zukunft Europas und seiner Industrie, VSA Verlag.

Links:
Querdenkerplattform Wien-Europa
Pulse of Europe
Bundeszentrale für politische Bildung - Dossier "Die europäische Union"
Offizielle Website der Europäischen Union
Eurobarometer
Euractiv
Politico Europe

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