Das Ö1 Konzert

Radikal. Anrührend. Herumgepfuscht?

BBC Symphony Orchestra, Dirigent: Sakari Oramo; Javier Perianes, Klavier. Jean Sibelius: Scènes historiques, Suite Nr. 1 op. 25 Camille Saint-Saëns: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 22 Sir Edward Elgar: Symphonie Nr. 3 op. 88 (Fragment, vervollständigt von Anthony Payne) (aufgenommen am 22. August in der Royal Albert Hall in London im Rahmen der "Proms 2017"). Präsentation: Peter Kislinger

Radikal und anarchistisch

Jean Sibelius schrieb 1899, 18 Jahre vor der Finnischen Unabhängigkeitserklärung, für einen Umzug "Scènes historiques". Für Sakari Oramo, den finnischen Chefdirigenten des BBC Symphony, ist die 1. Suite op.25 eine großartige Studie, welche bereits die großen Werke seines Landsmanns ahnen lasse. Die Musik des jungen Sibelius zeige ihn von seiner farbenprächtigsten Seite, auch als Meister des Pastiche, des Stilimitates. Es gibt in der 2. Szene eine Menuettpassage und in der 3. einen Boléro, "was für einen Komponisten aus Finnland doch etwas überraschend ist." Ein besonderer Moment ist für Oramo eine Stelle im zarten, fast wehmütigen Menuett - "die zwei Fagotte und die Streicher werden plötzlich von der festlichen Bläserfanfare unterbrochen: Sibelius von seiner radikalsten, ja sogar anarchistischen Seite."


Nicht viel denken, nur genießen

In den 1960er, 70 er und 80 er Jahren machte Arthur Rubinstein das 2. und das 5. Klavierkonzerte zu den populärsten und meist gespielten Klavierkonzerte von Camille Saint-Saëns, sagt der Pianist Javier Perianes. Aus ihm nicht nachvollziehbaren Gründen seien dann fast völlig aus dem Konzertrepertoire verschwunden. Seit einigen Jahren tauchen sie wieder auf. Das 2. sei "ein so schönes Stück, reine Freude, eine schön Einladung ans Publikum, Freude an Musik zu haben, nicht zu viel denken, nur zu genießen." Das Werk sei für den Interpreten "recht anspruchsvoll, besonders der 2. und der 3. Satz, auch der Beginn und der ganze 1. Satz." Der 3 Satz endet, wie Rubinstein immer gesagt habe, "mit einem Furioso, eine ans Publikum gerichtete Applaus-Aufforderung - eines jener Stücke, die das Publikum deshalb liebt, weil es wahrscheinlich direkt zu Herzen geht."


Nicht herumpfuschen - verbrennen!

"Die Symphonie ist Stückwerk - niemand würde verstehen, lassen Sie niemand daran herumpfuschen. Am besten verbrennen!" So der knapp 77-jährige Elgar wenige Monate vor seinem Tod, 1934, über seine Dritte Symphonie, der ersten großen Arbeit nach 14 Jahren.
Den Wunsch nach Vernichtung hat Elgar nicht wiederholt, er lebte noch ein halbes Jahr, selbst vernichtet hat er die 140 Seiten Skizzen auch nicht. Die erste Seite war vollständig orchestriert, die nächsten 20 Takte lagen für Streicher und Blech vor, es fehlten die Holzbläser - "das kam auf einen kompletten Klavierauszug heraus." Die Durchführung fehlte anscheinend völlig, die Reprise und der Schluss des 1. Satzes waren wieder vorhanden. Summa summarum: nicht genug für eine Vervollständigung, so der englische Komponist Anthony Payne nach der ersten Durchsicht in den 1970er Jahren.
Als das Copyright 1994 auszulaufen drohte, hätte jeder das Recht gehabt, an den Skizzen herumzupfuschen. Elgars Nachfahren beauftragten daher Payne, einen Komponisten, der in der Tradition der englischen Spätromantiker schrieb: "Lieber ein Komponist als ein Musikwissenschafter."

Einige Ideen aus den Skizzen hatte der 1936 geborene Payne mittlerweile für sich weiterentwickelt, bis er entdeckte, dass einige isolierte Takte Elgars in den völlig fehlenden Mittelteil gehört hätten und sich sogar mit seinen Ausarbeitungen deckten. Da ein Futzerl, dort einige Takte Payne, usw. Immerhin: dieses Herumprobieren, Einfügen von Stellen entsprach tatsächlich Elgars eigener Komponiermethode.
Was ist Elgar, was ist Payne? Immer wenn sich die Musiker 1998, bei den Proben zur Uraufführung dieser Fassung, sicher waren, das sei jetzt aber purer Payne, dann stellte sich heraus: echter Elgar - auch gegenteilige Erfahrungen gab es. Vom Finale war gerade die Exposition vorhanden, den Rest hat Payne einfach erfunden.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jean Sibelius/1865 - 1957
Titel: Historische Szenen - Suite Nr.1 op.25
* All'Ouvertura - 1.Satz
* Scena - 2.Satz
* Festivo - 3.Satz
Orchester: BBC Symphony Orchestra
Leitung: Sakari Oramo
Länge: 18:50 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Camille Saint Saens/1835 - 1921
Titel: Konzert für Klavier und Orchester Nr.2 in g-moll op.22
* Andante sostenuto - 1.Satz
* Allegro scherzando - 2.Satz
* Presto - 3.Satz
Klavierkonzert
Solist/Solistin: Javier Perianes / Klavier
Orchester: BBC Symphony Orchestra
Leitung: Sakari Oramo
Länge: 23:40 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Manuel de Falla/1876 - 1946
Bearbeiter/Bearbeiterin: Artur Rubinstein/1887 - 1982
Titel: Feuertanz aus dem Ballett "El Amor Brujo" / Bearbeitung für Klavier
Anderssprachiger Titel: Der Liebeszauber
Solist/Solistin: Javier Perianes / Klavier
Länge: 03:43 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Edward Elgar/1857 - 1934
Komponist/Komponistin: Anthony Payne/geb.1936
Titel: Symphonie Nr.3 (Fragement; bearbeitet von Anthony Payne)
* Allegro molto maestoso - 1.Satz
* Scherzo : Allegretto - 2.Satz
* Adagio solenne - 3.Satz
* Allegro - 4.Satz
Orchester: BBC Symphony Orchestra
Leitung: Sakari Oramo
Länge: 57:30 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Jean Sibelius/1865 - 1957
Album: SIBELIUS: INCIDENTAL MUSIC / BEGLEITMUSIK
Titel: Historische Szenen - Suite Nr.2 op.66
* Die Jagd - 1.Satz (00:06:50)
* Liebeslied - 2.Satz (00:05:35)
* Auf der Zugbrücke - 3.Satz (00:06:31)
Anderssprachiger Titel: Historiallisia kuvia II
Orchester: Orchester des Norwegischen Rundfunks
Leitung: Ari Rasilainen
Länge: 19:00 min
Label: Finlandia Records 0927419352

Komponist/Komponistin: Sir Edward Elgar/1857 - 1934
Titel: Serenade für Streicher op.20
* Larghetto - 2.Satz (00:05:41)
* Allegretto - 3.Satz (00:02:55)
Streicherserenade
Orchester: Philharmonia Orchestra
Leitung: Andrew Davis
Länge: 08:30 min
Label: Onyx Classics ONYX 4025

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