Tunesische Flagge

ORF/JOHANNES KAUP

Radiokolleg - Tunesien - Eine Gesellschaft in Bewegung

Auf der Suche nach Stabilität und Demokratie (1). Gestaltung: Johannes Kaup

Die Tunesische "Jasmin-Revolution" Ende 2010 und Anfang 2011 galt als Auslöser einer Revolte mit Vorbildwirkung, die viele arabische Staaten erfassen sollte. Doch der anfangs euphorisch begrüßte "Arabische Frühling" blieb bislang nur in Tunesien erfolgreich, während er andernorts entweder autoritär niedergeschlagen wurde oder in kriegerischen Konflikte ausartete.

Warum nicht in Tunesien? - Im Unterschied zu anderen Ländern der Region gibt es in Tunesien eine relativ starke Zivilgesellschaft. Das ist Resultat des ersten tunesischen Präsidenten nach der Unabhängigkeit, Habib Bourghiba, den manche Soziologen als "Entwicklungsdiktator" beschreiben. In Tunesien ist die Bildungsquote hoch. Frauen wurden schon früh gefördert und in den Arbeitsprozess integriert. Es gibt eine starke Gewerkschaftsbewegung und die Macht des Militärs wurde im Unterschied zu Ägypten verfassungsgemäß beschränkt.

Lange Zeit galt Tunesien als säkular und pro-westlich orientiert. Allerdings erlebte das Land unter der Herrschaft Ben Alis und seiner Familie eine Phase der Stagnation und Unterdrückung. Verfolgung und Folter war an der Tagesordnung. Sie richtete sich gegen jede Form von Opposition, die liberale wie die religiöse, was das Wiedererstarken islamistischer und radikaler Bewegungen förderte.

Als 2011 der korrupte Präsident Ben Ali gestürzt wurde, schien der Weg frei für eine offene Demokratie. Es sollte aber zunächst nicht dazu kommen. Denn die hauptsächlich von einigen Golfstaaten finanzierte islamistische "Ennahda"-Partei (dt. "Bewegung der Wiedergeburt") erlangten bei den Parlamentswahlen die Mehrheit. Ihre Versuche die Gesellschaft zu islamisieren waren aber nur von relativ kurzer Dauer.

Nach der Ermordung von zwei Gewerkschaftern und Abgeordneten gingen Zigtausende wieder auf die Straße. Die Zivilgesellschaft zwang so die Islamisten 2014 zum Rückzug. Bei den Parlamentswahlen bekam die säkular ausgerichtete Bewegung "Nidaa Tounes" (Ruf Tunesiens) unter der Führung des Juristen und liberalen Politikers Beji Caid Essebsi die Mehrheit. Die Islamisten gingen in die Opposition. Essebsi trat bei den Präsidentschaftswahlen an und gewann im zweiten Wahlgang gegen Moncef Marzouki, und wurde Staatspräsident.

Für viele Tunesierinnen und Tunesier gilt Essebsi als der Garant für eine progressive Demokratisierung und eine liberale Gesellschaftsgestaltung. Doch der Präsident ist bereits 91 Jahre alt und eine unumstrittene Führungsgestalt ist noch nicht in Sicht. Zudem kriselt es in der Regierungspartei aufgrund von Vorwürfen des Nepotismus, innerparteilichen Abspaltungen und persönlicher Profilierungsversuche einiger ihrer Mitglieder.

Daher nicht ausgeschlossen, dass die Islamisten bei den kommenden Wahlen wieder an die Macht gelangen.
Johannes Kaup war für "nebenan" kreuz und quer in Tunesien unterwegs. Er porträtiert Land und Leute, Kultur, Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Gesellschaft in Bewegung.

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