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Radiokolleg - Sind wir Science-Fiction?
Zukunftssuche in der Vergangenheit (1). Gestaltung: Julia Gindl
22. Jänner 2018, 09:05
"Das Zimmer war so gut wie leer, und doch stand es mit allem in Verbindung, was Vashti wichtig war. Als Nächstes betätigte sie wieder den Isolationsknopf, und die Anfragen der letzten drei Minuten stürzten auf sie ein. Der Raum war vom Lärm der Klingeln und Kommunikationsröhren erfüllt. Wie ist das neue Essen? Kannst du es empfehlen? Hast du Ideen gehabt in letzter Zeit?"
Man könnte meinen der britische Autor E.M. Forster umschreibt hier das Soziale Netzwerk Facebook und dessen nervige Dauerfrage "Was machst du gerade?". Fosters Erzählung "Die Maschine steht still" ist jedoch im Jahr 1909 erschienen. Die beiden Protagonisten sitzen da isoliert vor blassblauen Bildschirmen und sind von "Der Maschine" abhängig, über die sie kommunizieren, Informationen empfangen und alles Notwendige bestellen. 1970 ist der britische Schriftsteller gestorben, lange vor Instant Messaging, Videotelefonie und sozialen Netzwerken. Forster hat in seiner dystopischen Erzählung das Internet und heutige technologische Möglichkeiten vorweggenommen, er thematisiert Technikgläubigkeit und man könnte "Die Maschine steht still" auch als frühe Version von George Orwells "1984" lesen. Der US-amerikanische Informatiker Jaron Larnier bezeichnet Forsters Erzählung sogar als früheste und wahrscheinlich auch heute noch treffendste Beschreibung des Internets.
Was wurde aus den Wunschvorstellungen vom Internet als Raum der Freiheit und Demokratie? Welche Technik-Utopien aus Film und Literatur sind bereits eingelöst worden? Und wie beeinflussen philosophische Theorien, künstlerische Werke und Phantasien die Entwicklung von Technologien und unseren Umgang damit. Was projizieren wir in all die smarten Dinge, die uns umgeben hinein und woher kommen diese Bilder?
In E.M. Forsters Erzählung versagen die Maschinen schlussendlich, weil sie niemand mehr kontrollieren kann. Julia Gindl begibt sich auf Zukunftssuche in der Vergangenheit, entdeckt dabei Quellen in Literatur, Film und Kunst und vergleicht die Welt der Phantasie mit einer von Technologie mehr und mehr determinierten Realität.
Service
Mercedes Bunz: Die stille Revolution, Suhrkamp 2012
Mark O'Connell: Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen, Hanser Verlag 2017
E.M. Foster: Die Maschine steht still, Hoffmann und Campe 2016
Martin Ford: Aufstieg der Roboter. Wie unsere Arbeitswelt gerade auf den Kopf gestellt wird und wie wir darauf reagieren müssen, Plassen Verlag 2016
Dirk von Gehlen: Das Pragmatismus-Prinzip. 10 Gründe für einen gelassenen Umgang mit dem Neuen, Piper Verlag 2018
Tom Hillenbrand: Drohnenland, KiWi Verlag 2015
Marc Uwe Kling: Qualityland, Ullstein Verlag 2017
Marc Uwe Kling: Hörbuch Qualityland, Hörbuch Hamburg Verlag 2017
Clemens Apprich, Felix Stalder (Hg.): Vergessene Zukunft. Radikale Netzkulturen in Europa, Transcript Verlag 2012
LINKS:
Essayfilm Dreams Rewired - Mobilisierung der Träume von Manu Luksch, Martin Reinhart und Thomas Tode, AMOUR FOU Vienna.
Jutta Weber
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