Zwischenruf

Johannes Wittich über Volksbegehren

"Die Stimme des Volkes" von Johannes Wittich, evangelisch-reformierter Oberkirchenrat in Wien. - Gestaltung: Martin Gross

Über 400.000 Menschen haben "Don't Smoke - das Volksbegehren für den Nichtraucherschutz" bisher unterschrieben. Sie vertreten damit die Meinung, ein Gesetz, das bereits beschlossen ist, auch weiter bestehen zu lassen, also die komplette Rauchfreiheit in Lokalen, wie bisher vorgesehen, ab 1. Mai einzuführen.

Üblicher Weise ist ein Volksbegehren eine Möglichkeit, als einfacher Bürger oder einfache Bürgerin die Stimme zu erheben, damit sich umgehend politisch etwas verändert. Dass also nicht bis zur nächsten Wahl gewartet werden muss, wo dann durch Unterstützung für eine bestimmte Partei eigene Anliegen zum Ausdruck kommen. Vielmehr kann sich in einem Volksbegehren die sprichwörtliche "Stimme des Volkes" unmittelbar und ohne großen zeitlichen Vorlauf Gehör verschaffen.

Im konkreten Fall des "Don't Smoke"-Volksbegehrens ist es zunächst einmal nicht um den Wunsch gegangen, dass sich etwas verändern möge. Vielmehr soll bestehende Rechtslage auch bestehende Rechtslage bleiben. Das Volksbegehren stellt sich sozusagen auf die Seite der Politikerinnen und Politiker, die 2015 dieses Gesetz beschlossen haben. Von denen einige jetzt angekündigt haben, sich bei der kommenden Abstimmung anders zu entscheiden. Das Volksbegehren fordert aber auch diejenigen Politiker und Politikerinnen heraus, die sich im letzten Wahlkampf ganz besonders für direkte Demokratie eingesetzt haben. Die für sich in Anspruch genommen haben, gegen das Establishment und verkrustete politische Strukturen dem Wunsch des einfachen Mannes und der einfachen Frau von der Straße Gehör zu verschaffen.

Jetzt melden sich diese "einfachen Menschen" zu Wort - und dieselben Politiker, nun nicht mehr Wahlkämpfer, sondern Amtsträger, tun sich sichtlich schwer, damit umzugehen. Als Reaktion wird dem Volksbegehren vorgeworfen, unseriös zu sein, Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums ins Treffen geführt und schließlich darauf hingewiesen, dass einige hunderttausend Stimmen noch lange nicht das ganze Stimmvolk repräsentieren.
Letzteres stimmt zweifelsohne - zumindest mathematisch gesehen. Dass selbst einige hunderttausend Menschen nicht die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sind, wirft für mich eine weit grundsätzlichere Frage auf: Gibt es überhaupt so etwas wie eine "Stimme des Volkes"? Oder ist es vielmehr nicht so, dass kein sogenannter Volksvertreter in Anspruch nehmen kann, dass ganze Volk zu vertreten, sondern vielmehr höchstens diejenigen, die ihn gewählt haben. Und auch das nur mit Einschränkungen, weiß man doch, dass nicht Wenige aus strategischen Gründen ihre Stimme für eine bestimmte Partei abgeben und weniger aus Unterstützung für die von ihr vertretenen Inhalte.

Die Menschen eines Landes wie dem unsrigen sind nun einmal keine homogene Masse. Sonden vielmehr ein bunter Mix mit ganz unterschiedlichen Interessen und Erwartungen an das, was von der Politik gemacht und umgesetzt werden soll. Ich halte es schlichtwegs für Hybris, wenn ein Politiker behauptet, im "Namen des Volkes" zu sprechen oder den "Volkswillen" zu vertreten. Selbst dann, wenn in einer bestimmten Frage die zahlenmäßige Mehrheit hinter ihm steht. Selbst diese ist noch lange nicht "das Volk". Sondern nur die Mehrheit, die selbst als Mehrheit nicht für sich in Anspruch nehmen kann, die Minderheit mit zu repräsentieren.

Was ist unter diesen Voraussetzungen die Aufgabe eines Volksvertreters oder einer Volksvertreterin? Inspiriert von einem Satz Jesu, der gemeint hat: "Euer Ja sei ein Ja, und euer Nein sei ein Nein. Jedes weitere Wort ist von Übel" (Mt. 5,37), meine ich: Aufgabe eines Politikers, einer Politikerin ist es, ein klares politisches Konzept zu vertreten, Lösungsmodelle, Visionen für die Zukunft, . und aus dem heraus, dem Wähler, der Wählerin ein Angebot zu machen - ohne immer Wählerstimmenmaximierung betreiben zu müssen. Klare Standpunkte vertreten - und damit die Buntheit und Vielfältigkeit der politischen Debatte erhalten. Damit diese ebenso bunt und vielfältig bleibt, wie "das Volk" und seine "Stimme" selbst.

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