Zeichnung

BERNHARD KATHAN

Sound Art: Kunst zum Hören

Auch Maschinen müssen geboren werden von Bernhard Kathan, Sound: Günther Zechberger, Stimme: Florian Eisner

Wurde ein neues Götterbildnis geschaffen, so bedurfte es in mesopotamischen Vorstellungen eines höchst komplexen, sich über mehrere Tage erstreckenden Rituals, um dem Bildnis Leben einzuhauchen. Auch wenn sich die diesbezüglichen assyrischen Riten in manchem von jenen der Babylonier unterscheiden, so wurden da wie dort den Handwerkern nach der Fertigstellung des Bildnisses die Hände gebunden, worauf sie zu schwören hatten: "Ich schwöre, nicht ich, der Gott der Handwerker, der Steinmetz des Himmels, der Steinschneider des Himmels, der Zimmermann des Himmels, der Schreiner des Himmels, der Steinfasser des Himmels, der Tuchmacher des Himmels, sie haben ihn gemacht. Ich habe ihnen nur meine Hände geliehen." Der Beschwörungspriester antwortete mit: "Die Axt, mit der dich der oberste Handwerker berührt hat, ist eine große Axt, der Meißel, mit dem er dich berührt, ist ein erhabener Meißel, die Säge, mit der er dich berührt, eine reine Säge, sie kennt nicht ihresgleichen. Der Steinfasser des Himmels hat deine Augen bunt gemacht, dir deinen Blick gegeben. Der Gott der Handwerker hat dir deine Gestalt gegeben . Als du hervorwuchst, als du hervorwuchst, als du hervorwuchst . Bildnis, an heiligem Ort geboren . Bildnis, im Himmel geboren ."

Ohne auf das komplizierte Ritual näher einzugehen, lässt sich sagen, dass mesopotamische Priestereliten vor 3000 oder mehr Jahren erstmals das Modell künstlicher Intelligenz beziehungsweise sich selbst schaffender Maschinen formuliert haben. Natürlich konnten sie sich dessen keineswegs bewusst sein. Betrachtet man all das etwas distanzierter, stellt man die Bildnisse wie all die mit ihnen verbundenen Rituale in einen breiteren Kontext, denkt man die bürokratische Ordnung mit, die mit der mesopotamischen Götterwelt untrennbar verbunden war, dann kann man sich all diese Göttermaschinen gar nicht vorstellen, ohne Normmaße vor sich zu haben, ganz gleich ob es sich um Tonplatten für Schreibzwecke, Ziegel oder Hohlgefäße handelt, die dazu dienten, Hirse oder Bier zuzumessen oder Steuern einzutreiben. Fixiert man sich nicht auf die kultische Praxis, dann fällt auf, dass es vor allem um Quantitäten, Normierungen und deren Abweichungen ging, auch um die Beachtung und Kontrolle von Bewegungsabläufen. Das über Tage sich erstreckende Ritual kannte exakte, geradezu mechanisch organisierte Bewegungsabläufe. In der Keilschriftliteratur gab es Kürzel für sich wiederholende Sätze oder Satzteile.

Dies wie anderes lässt an heutige Algorithmen denken. Auffallenderweise wusste das göttliche Maschinenkonglomerat letztlich nur aus dem Bestehenden zu schöpfen, wie es völlig unfähig war die Welt neu zu denken. Änderungen bedurften des fehleranfälligen Menschen. Hier wurde zum ersten Mal durchgespielt, was wir heute in seiner ganzen Ausprägung und überstürzten Entfaltung sehen, nur dass heute Maschinen tatsächlich lebendig geworden sind und nicht länger eines Mundwaschrituals bedürfen.

Sendereihe

Gestaltung

  • Hans Groiss

Playlist

Urheber/Urheberin: Text: Bernhard Kathan
Musik: Güntehr Zechberger
Titel: Auch Maschinen müssen geboren werden (tw überlappend)
Ausführender/Ausführende: Stimme: Florian Eisner
Länge: 22:03 min

Urheber/Urheberin: Jonathan Chaim Reus
Titel: "Seeking Truth Seeking" (tw überlappend)
Ausführender/Ausführende: Stimmen: Faye Houston, Johanna Bramli und Kassia Zermon.
Ton: Dylan Beattie und Jonathan Chaim Reus.
Länge: 22:22 min

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