Gedanken

Martin Grassberger - Aufbruch ins Ökozän

Der Arzt und Biologe Martin Grassberger über die Notwendigkeit eines fundamentalen Wertewandels nach Maßgabe der Natur.

Die Menschheit weiß so viel wie noch nie zuvor. Doch hilft ihr das gegenwärtig nur wenig bei der Bewältigung der vielen miteinander verzahnten, ökologischen, gesundheitlichen, gesellschaftlichen, geopolitischen oder ökonomischen Krisen, meint der Mediziner und Biologe Martin Grassberger. Denn Wissen sei gut. Aber Weisheit wäre besser. Und Klugheit. Der beiden letzteren Kompetenzen bedürfe es nämlich in unserer immer komplexer werdenden Welt, um die vielen Fakten und Zahlen, die die Wissenschaften liefern, richtig interpretieren und sinnvoll nutzen zu können: "Unser Gehirn klammert sich verzweifelt an Zahlen, und wir sind zunehmend blind für andere Phänomene in Ökologie und Gesellschaft. Von Zahlen geblendet, können wir die Vielfalt von Natur, Kultur und deren Verbindungen nicht mehr sehen."

Sein kürzlich im Residenz-Verlag erschienenes Buch "Regenerativ - Aufbruch in ein neues ökologisches Zeitalter" will er in erster Linie als Einladung verstanden wissen, gewohnte und oft nur wenig hinterfragte Sichtweisen auf unser Dasein loszulassen und sich neuen, zum Teil aber auch alten und vergessenen Ansichten über unsere Existenz auf diesem Planeten zu öffnen: "Der gegenwärtige Zustand des Anthropozäns erfordert, dass wir über unser bisheriges Denken hinausgehen und uns komplexem Systemdenken und ganzheitlichen Sichtweisen auf das Leben zuwenden. Dazu gehört auch die Akzeptanz, dass die Lösungen nicht immer in technischem Fortschritt und wirtschaftlichem Wachstum zu suchen sind."

Das neue Paradigma laute daher: "Regenerativ". Denn die natürlichste Lösung könnte in der Natur selbst zu finden sein. "Die von der Natur gesetzten Rahmenbedingungen sind das Maß aller Dinge und damit auch der Maßstab, nach dem wir uns stets richten sollten", ist Martin Grassberger überzeugt. In seinen Überlegungen führt er aus, wie dieser fundamentale Wertewandel seiner Ansicht nach die menschliche Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft regenerieren und ein nachhaltiges Gedeihen ermöglichen kann: "Wenn wir die Art und Weise ändern, wie wir die Dinge betrachten, ändern sich auch die Dinge, die wir betrachten." Es gehe um nichts weniger als die Annäherung an ein neues ökologisches Zeitalter: um den schrittweisen Übergang vom Anthropozän zum Ökozän.

Martin Grassberger studierte Medizin sowie Biologie in Wien und ist Facharzt für Gerichtsmedizin. Er lehrt unter anderem an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und an der Medizinischen Fakultät der Sigmund Freud Universität Wien in den Fachgebieten Human- und Gesundheitsökologie, Evolutionäre Medizin, Forensische Medizin und Pathologie. Sein Buch "Das leise Sterben" wurde 2020 in der Kategorie Naturwissenschaft/Technik zum "Wissenschaftsbuch des Jahres" gekürt.

Service

"Regenerativ" - Lesungen und Vorträge (Auswahl):
08.05. Österreichisches Kulturforum Berlin
16.05. Stadtsaal Mistelbach
21.05. Kulturzentrum Hacker Haus, Bad Erlach
27.05. Rathaussaal Amstetten

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