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Der lange Weg zum Klo. Eine Geschichte des Umgangs mit den Ausscheidungen. Feature von Peter Angerer

Damit eine Stadt funktionieren kann, benötigt sie ein Abbild in der Dunkelheit, ein unsichtbares Äquivalent, in dem alle Ausscheidungen der Stadt entsorgt und zur Kläranlage geführt werden. Für die Sprache hat Roland Barthes das Klärwerk für die dunklen Zonen entdeckt: "geschrieben stinkt Scheiße nicht."

1,1 Milliarden Menschen kennen nicht einmal die Idee einer Toilette, sondern nur Krankheiten, die wir in den industrialisierten Ländern erst wahrnehmen, wenn sie die Dimension einer Epidemie annehmen: Durchfall, Cholera, Typhus oder Hepatitis. Der Mangel an Toiletten verursacht weltweit mehr Tote als Aids. Bis 2015 wollten die Vereinten Nationen den Mangel an sanitären Einrichtungen halbieren, denn über 40 % der Weltbevölkerung haben keinen Zugang zu solchen Anlagen. Weil sich die Zustände nach dem Jahrtausendwechsel eher verschlechtert haben, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Jahr 2008 zum Internationalen Jahr der sanitären Grundversorgung erklärt. Der Themenschwerpunkt wurde wohl weitgehend missverstanden, denn nach wie vor müssen 2,6 Milliarden Menschen ohne sanitären und hygienischen Standard auskommen.

In den europäischen Großstädten hat es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gedauert, bis der Zusammenhang von Trinkwasserqualität und Cholera und anderen tödlichen Erkrankungen akzeptiert wurde. Die Nachttöpfe wurden auf Pariser oder Londoner Straßen entleert und besonders stark benützte Abfallwege wurden Pudding Lane genannt. Britischer Humor eben. 1858 war in London das Jahr des "großen Gestanks", in dem beispielsweise sämtliche Fenster des Parlaments mit Chlor getränkten Tüchern verhängt werden mussten. Erst 1865 konnte das Londoner Abwassersystem eingeweiht werden.

Aber schon 1739 wurden die Exkremente einer größeren Stadt durch ein funktionierendes Kanalsystem entsorgt: Diese Pionierstadt war Wien. Wiener Techniker sind es auch, die Großstädte in China beraten. Schanghai etwa entsorgt das Abwasser einer Millionenbevölkerung noch immer ins Meer. Aber es gibt bereits dezentrale Sanitärkonzepte wie Pflanzenkläranlagen.

Der Autor: Peter Angerer, geboren 1952, seit 1975 Features für Radio und TV. Er lebt in Innsbruck.

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