Radiokolleg - Gut für alle
Vom Wert und Nutzen der Gemeingüter (2). Gestaltung: Sonja Bettel und Brigitte Voykowitsch
22. März 2011, 09:05
Die Almen in der Schweiz - Grundlage für den berühmten Schweizer Käse und wichtig für den Tourismus - werden seit Jahrhunderten von den Bauern gemeinsam bewirtschaftet. Die lokal ausgehandelten Regeln für die Nutzung der "Allmend", also der Gemeinweide, sorgen dafür, dass das wertvolle Gut für alle Nutzer nachhaltig zur Verfügung steht.
Im frühen Mittelalter gab es in vielen Ländern Europas in nahezu jedem Dorf eine Allmende, die von allen Bewohnern einer Gemeinde oder einer bestimmten Gruppe genutzt werden konnte. Es handelte sich dabei nicht nur um Weiden, sondern auch Äcker, Wälder zur Holzgewinnung, Wege, Brunnen, Moore, Flüsse, Seen oder das Meer. Allmende oder Gemeingüter dienten also als Lebensgrundlage und sorgten dafür, dass alle Berechtigten gleichermaßen Zugang dazu hatten.
Im 15. und 16. Jahrhundert begann sich das Gemeingut jedoch vielerorts aufzulösen, weil Herrscher sich die Flächen aneigneten oder man das Besitztum Einzelner vor die Nutzung durch alle setzte. In Deutschland war die Enteignung von Allmenden mit ein Grund für den Bauernkrieg im 16. Jahrhundert, in England trieb die sogenannte "Enclosure"-Bewegung im 18. und 19. Jahrhundert die Kommerzialisierung der Landwirtschaft voran und führte zur Verarmung von Kleinbauern, die als Arbeiter in die neu entstehenden Industriestädte abwandern mussten.
Im 20. Jahrhundert versetzte der US-amerikanische Biologe Garrett Hardin den Gemeingütern (englisch "commons") mit seinem Aufsatz "The Tragedy of the Commons", der 1968 im Wissenschaftsmagazin "Science" erschien, den vermeintlichen Todesstoß. Hardin schrieb darin, dass Gemeingüter unweigerlich übernutzt würden, weil jeder Nutzer seinen eigenen Profit maximieren möchte. Hardin hatte jedoch Gemeingüter mit Niemandsland verwechselt und vergessen, dass es für Commons stets Nutzungsregeln gibt, die von der Gemeinschaft ausgehandelt werden.
Wie Gemeingüter erfolgreich gemanaged werden können, weist die an der Indiana University in Bloomington in den USA tätige Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom seit mehr als 20 Jahren nach. Im Jahr 2009 erhielt sie dafür den Preis für Wirtschaftswissenschaften der Schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel, kurz Wirtschaftsnobelpreis genannt.
Die hohe Anerkennung für die Commons kommt genau zur rechten Zeit, denn die Überfischung der Meere, der Klimawandel, knapper werdende Rohstoffe und die Krise der bestehenden Wirtschaftsordnung schreien geradezu nach neuen Lösungen für die Verteilung von Ressourcen zum Nutzen aller. Gleichzeitig haben Open-Source-Software, Gemeinschaften für freien Zugang zu Wissen und Bildung oder auch das alternative Lizenzmodell für kreative Werke, Creative Commons, gezeigt, dass Gemeingüter im digitalen Zeitalter eine neue Bedeutung haben, weil sie allen Menschen im Überfluss zur Verfügung stehen können, ohne übernutzt zu werden.
Service
Silke Helfrich: Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter. oekom Verlag 2009.
Silke Helfrich, Rainer Kuhlen, Wolfgang Sachs, Christian Siefkes: Gemeingüter - Wohlstand durch Teilen.
Heinrich-Böll-Stiftung 2010.
freier Download dieser Bücher siehe hier unter "Publikationen"
Elinor Ostrom: Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter. Herausgegeben, bearbeitet und übersetzt von Silke Helfrich.
oekom verlag, München. Erscheint im April 2011.
Michael Hardt, Antonio Negri: Common Wealth: Das Ende des Eigentums. Campus Verlag 2010.
David Bollier: Viral Spiral: How the Commoners Built a Digital Republic of Their Own.
Verlag New Press 2009.
Elinor Ostrom
Claudia Binder, Universität Graz
Silke Helfrich Commons Blog
Brigitte Kratzwald Commons Blog
Sigrid Stagl
Open Spaces Society (Kate Ashbrook)
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Felix Stalder
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Creative Commons
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