Im Gespräch

"Ich betone - das ist hier kein politischer Prozess" (Richterin Sonja Arleth). Michael Kerbler spricht mit Dr. Martin Balluch, Tierethiker und Tierschutzaktivist

Dass es in Österreich einen "Verein gegen Tierfabriken" gibt, war der breiten Öffentlichkeit bis Mai 2008 nicht bekannt. Das änderte sich mit dem 21. Mai 2008 schlagartig. Im Zuge einer österreichweiten Razzia durch die Polizei wurden damals zehn Tierschützer festgenommen. Sogenannte "radikale Aktivisten" unterschiedlicher Tierschutzorganisationen. Darunter Dr. Martin Balluch, der Obmann des "Vereins gegen Tierfabriken".

Den angeklagten Personen wurde und wird im laufenden Prozess von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein, die für Brandstiftungen und Anschläge auf Bekleidungshandelsketten und Lebensmittelkonzerne verantwortlich sei.

Elf Monate nach der Razzia, im August 2009, wird ein Strafantrag gegen zehn Tierschützer - darunter Martin Balluch - vorgelegt. Vier der zehn Beschuldigten, für die die Unschuldsvermutung gilt, müssen sich seit März 2010 ausschließlich wegen Paragraf 278a StGB vor dem Landesgericht Wiener Neustadt - Prozessleitung Richterin Sonja Arleth - verantworten. Dieser Paragraf soll vor global agierenden Terrorgruppen und den Netzen der organisierten Kriminalität schützen. Neu ist, dass er auf Tierschützer angewendet wird.

Im Prozessverlauf wurde der ganze Ermittlungsaufwand der Behörden, um Straftatbestände belegen zu können, offenkundig: umfassende Observationsmaßnahmen - Telefonüberwachung, Peilsender auf Autos, Beschattung und verdeckte Ermittler, die in die Tierschützerszene eingeschleust worden waren. Dass nicht einer der Aktivisten auf frischer Tat ertappt wurde und nicht ein Gespräch aufgezeichnet oder ein E-Mail gefunden wurde, in dem die Tierschützer eine Straftat zugaben oder planten, rückte die jahrelangen, kostspieligen Ermittlungen in ein schiefes Licht. Unbestritten ist, dass es Anschläge und Sachbeschädigungen mit hohen Schadenssummen gab - im Akt wird die Summe von 1,3 Mio. Euro genannt.

Das Gespräch mit Martin Balluch konzentriert sich auf die Frage, welche Formen des Widerstandes in einer Demokratie zulässig sind, welches Ziel die Kampagnen der Tierschutzorganisationen nach der Durchsetzung des Verbots von Pelztierhaltung und des Verbots von Hühnerlegebatterien in Österreich tatsächlich anstreben, und ob er den New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer beneidet, der mit seinem jüngsten Buch "Tiere essen" mehr Bewusstsein punkto industrieller Tierproduktion schaffen konnte als viele Tierschutzinitiativen.

Service

Martin Balluch, "Widerstand in der Demokratie - Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen", ProMediaVerlag, Wien (ISBN 9783853713044)

Jonathan Safran FOER, "Tiere Essen", Kiepenheuer und Witsch, Köln (ISBN 9783462040449)

Amartya Sen, "Die Idee der Gerechtigkeit", aus dem Englischen von Christa Krüger, C.H. Beck Verlag, München (ISBN 9783406606533)

Felix Ekardt, "Wird die Demokratie ungerecht?" - Politik in Zeiten der Globalisierung, C.H. Beck-Verlag, München (ISBN-13: 978-3406547997)

Henry David Thoreau, "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat und andere Essays", Übersetzung, Nachwort und Anmerkungen von Walter E. Richartz, Essaysammlung, Diogenes Verlag in Zürich (ISBN 3-257-20063-3)

Luciano Canfora, "Eine kurze Geschichte der Demokratie. Von Athen bis zur Europäischen Union", aus dem Italienischen von Rita Seuß, PapyRossa Verlag, Köln (ISBN 978-3-89438-350-3)

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