Im Gespräch

"Das Sterben hat längst seine Natürlichkeit verloren". Doris Stoisser spricht mit Michael de Ridder, Notfallarzt und Buchautor

Wie wollen wir sterben? Diese für viele Menschen provokante Frage stellt der Notfallmediziner Michael de Ridder im Titel seines neuen Buches. Der Untertitel lautet: "Ein ärztliches Plädoyer für eine neue Sterbekultur in Zeiten der Hochleistungsmedizin". Seine Gedanken entwickelt de Ridder aus der Praxis: er ist im Arbeitsalltag in der Notaufnahme im Berliner "Vivantes Klinikum" vor allem damit beschäftigt, Leben zu retten. Er ist aber auch mit Fehlentwicklungen der Medizin konfrontiert, auf die er seit Jahren immer wieder in viel beachteten Artikeln in großen deutschen Medien aufmerksam macht.

Michael de Ridder, Jahrgang 1948, ist Allgemeinmediziner. Schon seine Dissertation erregte Aufsehen. In "Heroin. Vom Arzneimittel zur Droge" beschrieb er, wie im Pharmakonzern Bayer-Leverkusen zeitgleich mit Aspirin das Heroin als wirksames Hustenmittel entwickelt wurde, das fast drei Jahrzehnte lang als harmloses Arzneimittel galt, ehe es zum verteufelten und hohe Gewinne bringenden Suchtgift wurde.

Michael de Ridder wurde mit dem Deutschen Humanismuspreis 2009 ausgezeichnet, er arbeitet seit 25 Jahren in der Notfallmedizin, davon 15 Jahre als Rettungsarzt, sechs Jahre auf der Intensivstation und seither als Leiter der Ambulanz. Was er dort gesehen und erlebt hat, begründet sein Engagement für Patientenverfügungen, die den Menschen die Entscheidung über ihr Lebensende ermöglichen.

Ebenso wichtig wie das Heilen sei für die Medizin der Auftrag, für ein gutes Sterben zu sorgen und es vor allem auch zuzulassen. So tritt er auch gegen quälende Verlängerung des Sterbens ein - z. B. durch künstliche Ernährung. "Das sind teure Menschenrechtsverletzungen am Lebensende, die Ärzte hier verantworten", sagt de Ridder. Und eben deshalb plädiert er für eine offene Debatte über den ärztlich begleiteten Suizid Todkranker.

Service

Michael de Ridder, "Wie wollen wir sterben? Ein ärztliches Plädoyer für eine neue Sterbekultur in Zeiten der Hochleistungsmedizin", Verlag DVA

Michael de Ridder, "Heroin. Vom Arzneimittel zur Droge", Campus Verlag.

Erwin Ringel, "Das Alter wagen. Wege zu einem erfüllten Lebensabend", Verlag Kremayer und Scheriau

Philip Roth, "Nemesis", Hanser Verlag

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