Radiokolleg - Die Erfindung der Individualität
Eine kleine Geschichte des Ich (1). Gestaltung: Ursula Baatz
1. August 2011, 09:05
Wer ich sagt, hat zuerst schon Du gesagt. Das Wort Ich lernen Menschenkinder erst spät, in den westlichen Kulturen mit ungefähr drei Jahren. "Ich" - das ist das Wort für ein sehr spezielles Verhältnis zu sich selbst und zu den anderen. Denn das "ich" entsteht nicht als "Marke Ich", sondern bildet sich zusammen mit Sprache und Gehirn in sozialen Beziehungen heraus, aus den eigenen und mit der Familie, den Freunden und der Kultur geteilten Geschichten und Erinnerungen.
Durchstöbert man die europäische Philosophie-Geschichte, dann zeigt sich, dass das Ich ganz verschieden eingeschätzt wurde. Descartes etwa setzte mit dem cogito ergo sum auf eine Trennung von Körper und Geist, während Nietzsche diese Trennung kritisierte - und darauf hinwies, dass "Ich" ein Vokabel ist, das vor allem in den indoeuropäischen Sprachen vorkommt und den Anschein erweckt, dass es sich beim Subjekt um einer Art Objekt handelt.
Für die Konfiguration des zeitgenössischen Ich der Industriegesellschaft spielen PR-Strategien und Management-Methoden genauso wie die Psychotherapie eine wichtige Rolle. Und so mancher macht sich mittels Meditation auf die Suche nach dem "wahren Ich".
Service
Harald Welzer, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, C.H. Beck Verlag
Hans Schelkshorn, Entgrenzungen. Ein europäischer Beitrag zum Diskurs über die Moderne,
Velbrück Verlag
Eva Illouz, Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Suhrkamp Verlag
Eva Illouz, Die Errettung der modernen Seele, Therapien, Gefühle und die Kultur der Selbsthilfe, Suhrkamp Verlag
Dominik Perler, Rene Descartes, C.H.Beck Verlag
Dominik Perler, Der Geist der Tiere, Suhrkamp Verlag
Volker Gerhardt, Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität, Reclam Verlag
Karl Baier, Meditation und Moderne. Königshausen & Neumann Verlag
Sylvester Walch, Vom Ego zum Selbst. Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes, O.W.Barth Verlag