Gedanken für den Tag

von Waltraud Barton. "Vergessen ist Mangel an Treue" - Erinnerung an Maly Trostinec

An keinem anderen Ort wurden so viele Menschen aus Österreich als Opfer der Shoah ermordet und doch erinnert heute wenig Sichtbares an die Ermordeten von Maly Trostinec/Minsk. Am 28. November 2011 jährt sich der Jahrestag der ersten Deportation von Wien nach Weißrussland zum 70. Mal. Insgesamt gab es zehn direkte Deportationszüge (mit jeweils rund tausend Menschen) von Wien nach Weißrussland sowie einzelne "Überstellungen" aus anderen Lagern - z. B. aus Theresienstadt - und so wurden in Maly Trostinec/Minsk rund 10.000 Österreicher und Österreicherinnen als Opfer der Shoah von den Nationalsozialisten ermordet.

Die Mediatorin, Schauspielerin und Protestantin Waltraud Barton, die selbst Verwandte in Maly Trostinec verloren hat, hat es sich zum Ziel gesetzt, die Erinnerung an diese Menschen und ihr Schicksal dem Vergessen zu entreißen. Denn, so zitiert sie den französischen Philosophen Gabriel Honoré Marcel, Vergessen ist Mangel an Treue.

Anlässlich dieses Jahrestags veranstaltet der Verein IM-MER (Initiative Malvine - Maly Trostinec erinnern) vom 28. bis 29. November die internationale Konferenz "Maly Trostinec erinnern", eine Kooperation mit dem Wien Museum und dem Wiener Wiesenthal Institut.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Die Künstlerin Gabriele Krainz hat eine kleine Statue von Malvine Barton angefertigt für mich. Eine Metallfigur von jener Frau, die meinen Vater geliebt hat wie ein eigenes Kind und die durch diese Liebe ihre Spuren hinterlassen hat in meiner Familie. Während ich mein Frühstück mache, fällt mein Blick auf diese kleine Bronze. Wie zahllose andere aus Österreich auch ist Malvine Barton in Maly Trostinec gestorben. Nirgendwo sind so viele Österreicherinnen und Österreicher, nämlich beinahe 10.000 Menschen, als Opfer der Shoa ermordet worden wie in Maly Trostinec. In Weißrussland, ganz in der Nähe von Minsk. In einem Blagowtschina genannten Wäldchen wurden sie erschossen. Im November 1941 begannen die Massendeportationen nach Weißrussland. Von Wien aus, aus dem Sammellager in der Sperlgasse in Wien-Leopoldstadt. Weil sie Juden waren nach der Rassenlehre der Nationalsozialisten. Man brauchte vier arische Großeltern, um arisch zu sein. Malvines Großeltern - und ihre Eltern - aber waren jüdisch, das reichte den Nationalsozialisten, um ihr das Recht zu leben abzusprechen. Sie wird am 23. Oktober 1878 als Malvine Rachel Käs in Wien geboren als jüngstes von fünf Kindern von Moritz Käs und seiner Frau Cäcilia. Als Malvine meinen katholischen Großvater kennenlernt, tritt sie 1913 aus der israelitischen Kultusgemeinde aus, um ihn in einer katholischen Kirche zu heiraten, bleibt aber selbst konfessionslos. Bis sie im April 1934 evangelisch wird. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten freilich gilt sie als sogenannte "Rassejüdin". Am 17.August 1942 wird sie laut Transportliste nach Maly Trostinec in Weißrussland deportiert und dort ermordet. Ich glaube, es ist wichtig, sich dieser Menschen und der Verbrechen, die ihnen angetan wurden, zu erinnern. Nicht nur um ihrer willen, sondern auch um unser selbst willen. Denn, so hat es Richard von Weizäcker einmal formuliert: "Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart."

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Titel: GFT 111107 Gedanken für den Tag / Waltraud Barton
Länge: 03:49 min

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