Im Gespräch
"Was wahr ist, streut nicht Sand in die Augen ..."
Michael Kerbler spricht mit Brigitte Schwaiger, Schriftstellerin (Erstausstrahlung: 28. Juni 2007)
7. März 2013, 21:00
Brigitte Schwaigers "Wie kommt das Salz ins Meer" in der Bearbeitung und Regie von Elisabeth Putz wurde am vergangenen Samstag vom Ö1-Publikum zum "Hörspiel des Jahres 2012" gekürt. Mit ihrem Debütroman "Wie kommt das Salz ins Meer" landete die damals 28-jährige Oberösterreicherin Brigitte Schwaiger einen Sensationsbestseller, der sich allein im deutschsprachigen Raum hunderttausendfach verkaufte, weil er offensichtlich den Nerv seiner Zeit getroffen hat. Es erzählt die Geschichte einer jungen Frau, irgendwo in der österreichischen Provinz, die von Kindesbeinen an vor allem eines lernt: Sich selbst zu verleugnen um den Normen und Erwartungen einer bigotten, repressiven bürgerlichen Gesellschaft zu entsprechen. Eine frühe Heirat führt keineswegs zur Befreiung, sondern steigert das Gefühl der Fremdbestimmung nur. "Ich bin nicht ich", sagt die namenlose Ich-Erzählerin, "ich bin Rolfs Frau". Es folgen eine Affäre, eine Abtreibung, Depressionen und schließlich die Scheidung. Eine Abfolge von Dramen und Schicksalsschlägen, von denen auch die Psyche der Autorin selbst nicht verschont geblieben ist.
"Was wahr ist, streut nicht Sand in die Augen ... / was wahr ist, rückt den Stein von deinem Grab", so lautet das Post Scriptum, das Brigitte Schwaiger an den Schluss ihres letzten Werks "Fallen lassen" setzte - die Anfangszeile von Ingeborg Bachmanns Gedicht "Was wahr ist".
Und die letzten Zeilen ihres Buches, das von ihren Erfahrungen in und mit der Psychiatrie handelt, lauten: "Das Sonnenlicht verscheucht die Stimme, ich gehe hinüber auf den anderen Gehsteig (...) soll ich in eine Depression kippen oder durchhalten und mir sagen: Ich bin fröhlich."
Es geht in "Fallen lassen" vor allem um Brigitte Schwaiger. Dennoch kann dem diesem Buch die Allgemeingültigkeit nicht abgesprochen werden. Darauf verweist schon der Klappentext unmissverständlich: "Es geht in diesen Texten nicht nur um ihre eigene Befindlichkeit, ihre Schwaigers Depressionen und Süchte, ihren persönlichen Zustand also, sondern auch um den Zustand der österreichischen Psychiatrie".
Brigitte Schwaiger schreibt: "Vom Sozialhilfeempfänger zum deklariert psychisch Kranken ist es oft ein direkter Weg. Sozialhilfe braucht ein Mensch, weil er oft seelisch nicht mehr in der Lage war, gewisse Arbeiten zu tun."
Im Frühsommer 2007 hatten Brigitte Schwaiger und ich vereinbart, dass wir einander zu einem sehr persönlichen Gespräch treffen wollen, in dessen Mittelpunkt Möglichkeiten der Bewältigung der Lebensangst und die Suche nach Zukunftsperspektiven stehen. Nicht nur für Brigitte Schwaiger, sondern für jeden Menschen, der sich angesprochen fühlt. Dieses Gespräch hat für mich auch seit Brigitte Schwaigers Fortgehen im Juli 2010 nichts an Gültigkeit verloren - ganz im Gegenteil.
Service
Brigitte Schwaiger, "Fallen lassen" - autobiografische Notizen und Texte über den Zustand der österreichischen Psychiatrie, Czernin Verlag (ISBN 10: 3707600823)
Brigitte Schwaiger, "Wie kommt das Salz ins Meer", Roman, Neuauflage, Czernin Verlag (ISBN: 9783707602265)