Im Gespräch

"Die Digitalisierung hat, wie ein Hammer, zwei Seiten. Man kann damit jemanden erschlagen oder ein Haus bauen"
Michael Kerbler und Alexandra Föderl-Schmid, "Der Standard", im Gespräch mit Mercedes Bunz, Internet-Theoretikerin

Hörte oder las man von einem Prisma, dann dachten die meisten zuerst wohl an einen geometrischen Glaskörper, der ein Dreieck als Grundfläche besitzt und zur Lichtbrechung verwendet wird. Seit vergangener Woche weiß die breite europäische Öffentlichkeit: es kann sich auch um ein extrem ausgefeiltes Spionageprogramm handeln, mit dem riesige Datenmengen von amerikanischen Geheimdiensten aus Telefon- und Internet-Datenspeichern amerikanischer Firmen abgesaugt werden können. Übrigens: alle physisch in den USA befindlichen "Cloud"-Datenspeicher - auch dann, wenn es sich nicht um US-amerikanische Firmen handelt - sind ein Objekt der Begierde der amerikanischen Geheimdienste. Denn sowohl sie als auch US-amerikanische Unternehmen, wie etwa Google, werden unter Hinweis auf die Gesetzeslage - Stichwort "Patriot Act" - zur Kooperation veranlasst.

Dass so etwas geschieht, ist nicht neu. Schon nach dem Ersten Weltkrieg kopierte die Vorläuferorganisation der NSA, der National Security Agency, jeweils in den Nachtstunden mittels kryptoanalytischem Programm alle Telegramme, die das Land erreichten und verließen. Das Programm trug den poetischen Namen "Black Chamber". Die Ausspähung der Telegramme wurde übrigens nach zehn Jahren wieder eingestellt, weil das US-Außenministerium die Finanzierung des Dienstes stoppte. Die Begründung des damaligen Außenministers Henry L. Stimson lautete schlicht: "Gentlemen do not read each other's mail." - "Ein wirklicher Herr liest nicht die Post eines anderen". Diese noble Haltung hat offenbar ausgedient.

Als "Standard"-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid und Michael Kerbler am Freitag vergangener Woche einander zum Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz in der Universität Salzburg trafen, war die Informationslage zum Thema "Prisma" noch dürftig. Aber die Dimension der Affäre, die sich hinter den ersten Meldungen verbarg, war spürbar. Bunz, die die Entwicklung des Internet und die Macht der Algorithmen grundsätzlich nicht als Bedrohung sah, musste einen Vertrauensbruch konstatieren. Einen Vertrauensbruch, der sich zwischen Firmen wie Google, Facebook und anderen und den Nutzern der Dienste jener Unternehmen ereignet habe.

Andererseits konstatiert Bunz in ihrem jüngsten Buch auch positive Aspekte des Internet. Es ereigne sich eine "stille Revolution". Algorithmen verändern Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik, ohne dabei viel Lärm zu machen. "Wir reden fast nur über die negativen Folgen der Digitalisierung, über das Positive reden wir fast nicht. Dabei hat sie, wie ein Hammer, zwei Seiten. Man kann damit jemanden erschlagen oder ein Haus bauen."

In welchem Ausmaß Computerprogramme unsere Wahrnehmung modifizieren, Datenerfassungsprogramme Persönlichkeitsprofile der Nutzer anfertigen und Unternehmen diese Profile profitabel verkaufen, das dominierte ebenso das Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin, wie die Frage nach den Folgen der "stillen Revolution" für Demokratie und Gesellschaft.

Service

Mercedes Bunz, "Die stille Revolution: Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen", schmaler Band, "edition unseld" des Suhrkamp Verlages

Sandro Gaycken, Constanze Kurz (Hrg.), "1984.exe. Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Überwachungstechnologien", transcript Verlag, Bielefeld

Peter Schaar, "Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft", C. Bertelsmann Verlag, München, Verlagsgruppe Random House GmbH

Nicholas Carr, "Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange? Wie das Internet unser Denken verändert", aus dem amerikanischen Englisch von Henning Dedekind, Band , Karl Blessing Verlag

Sendereihe