Zwischenruf

von Martin Schenk (Wien)

Sospeso Bo.h.nuskaffee - das geteilte Glück

"C'è un caffè sospeso?" - "Gibt es einen aufgehobenen Kaffee?" Diese Frage hat eine über hundertjährige Tradition in Neapel. Ein Blick auf die Kreidetafel zeigt vier Striche hinter dem mit wackeliger Schrift gekritzelten Wort Espresso. Der Mann hinter der Bar wirft die Espressomaschine an, löscht mit dem Tuch einen Kreidestrich von der Tafel und reicht der jungen Frau auf der anderen Seite der Theke die Tasse mit dem frisch duftenden Kaffee. Aufgehoben heißt, ein anderer hat schon bezahlt. Wenn ein Neapolitaner glücklich ist und einen Kaffee an der Bar trinkt, bezahlt er zwei statt einem, einen für sich und einen für den Gast, der nach ihm kommt. Es ist, als ob er den Rest der Welt auf einen Kaffee einladen möchte. Entstanden ist diese Tradition als eine Regung der Freude und der Großzügigkeit.

Nun haben sich Leute rund um das "Häferl", einer Wärmestube und Sozialeinrichtung der Stadtdiakonie, Straßenzeitungsverkäufer des Augustin und Selbstvertreter der Armutskonferenz zusammengetan, um die Aktion Bo.h.nuskaffee, Bohnus mit h, jetzt auch in Österreich zu befördern.

Sospeso - Bo.h.nuskaffee: Wie geht das?

Es ist ganz einfach. Ich zahle zwei Kaffee - einen für mich und einen für jemanden, der es sich nicht leisten kann. Personen zahlen im Voraus in einem Lokal für Essen oder Trinken, das für jemand bestimmt ist, der nicht das nötige Geld hat. Spender und Empfänger bleiben einander unbekannt, um Großzügigkeit, Ansehen und den Genuss von Kaffee auch in schweren Zeiten zu schützen.

Die Sospeso-Sache hat durch die Wirtschaftskrise eine neue Dynamik bekommen. Auch in Neapel hat der geteilte Kaffee nun plötzlich existenzielle Bedeutung erlangt. Nicht nur Kaffee, sondern auch Brot, kleine Mahlzeiten oder Gemüse werden so zwischen Unbekannten geteilt. In Serbien oder Montenegro machen über hundert Bäckereien, Gasthäuser und kleine Märkte mit. Auf einer Landkarte im Internet sind diese Orte verzeichnet, an denen es für Leute, die sich das Notwendigste nicht mehr leisten können, Kleinigkeiten zu essen und zu trinken gibt. Unbürokratisch, anonym, ohne Beschämung ist das Ziel. Der Kaffee ist frisch, das Kipferl nicht vom Vortag, das Brot nicht für die Letzten übrig geblieben, das Glück geteilt. Schon bezahlt, heißt es dann.

Sospeso kann man auch mit "schwebend" übersetzen. In Berlin ist daraus der "fliegende Kaffee" geworden. "Für viele ist das Café mehr als nur eine bloße Auftankstation: Es ist Treffpunkt, Arbeitsplatz und Freizeitgestaltung zugleich. Das Café ist ein kommunikativer Raum, in dem jeder Mensch seinen Platz haben sollte. Fehlt das Kaffee-Geld, kann dem städtischen Treiben lediglich von außen zugeschaut werden", erklärt die Berliner Initiative. "Wir wollen das Café wieder für alle öffnen."

"Einen Kaffee für mich und eine Sospeso", hört man auch im Café Emmi in St. Pölten. Auf die Idee gekommen ist ein Emmi-Stammkunde, der davon im Internet gelesen hatte. Das Emmi hat prompt reagiert und wenige Tage später mit der hilfreichen Stricherlliste angefangen. Auch das Tachles am Wiener Karmelitermarkt ist eingestiegen. "Ich finde es wichtig, dass es bei ,Bo(h)nuskaffee' nicht darum geht, sich aufzuopfern und sich seine ,Gute Tat des Tages' zu verdienen", umschreibt das Tachles seine Motivation. "Man unterstützt sich freiwillig gegenseitig, ohne Erwartung, einfach weil es gerade passt."

Der gedeckte Tisch, an dem alle satt werden und niemand ausgeschlossen ist, der steht ja im Zentrum des christlichen Glaubens. Es ist kein Tisch, an dem alle die Schultern breit machen und die anderen verdrängen. Das Wort Diakonie kommt aus dem Griechischen und heißt "zu Tische dienen": Alle sind geladen und alle werden satt. Das klingt alles so selbstverständlich, ist aber immer schon eine Provokation gewesen: Es reicht! Für alle!
Der geteilte, der aufgehobene, der schwebende, der fliegende Kaffee wird die Welt nicht retten. Er ist aber eine starke Geste: Unbürokratisch, anonym, ohne Beschämung. Der Kaffee frisch, das Kipferl nicht vom Vortag, das Brot nicht übrig geblieben, - das Glück geteilt.

Sendereihe