Gedanken für den Tag

von Hans Schelkshorn, Philosoph. "Denken am 'Rande' Europas" - Philosophie und Theologie in Lateinamerika. Gestaltung: Alexandra Mantler

Kritik der Aufklärung - Francisco de Miranda

Der Stolz Europas stützt sich bis heute auf das Zeitalter der Aufklärung, in dem die Einheit von Thron und Altar endlich durch Ideen der universalen Menschenrechte und der Demokratie überwunden worden ist. Doch die Philosophie des 18. Jahrhunderts ist zugleich die Geburtsstätte eines naturwissenschaftlich begründeten Rassismus. Da Amerika als junger Kontinent geologisch unvollkommen und das Klima für Pflanzen und höhere Säugetiere ungünstig sei, würden, wie die großen Naturphilosophen de Buffon und de Pauw betonen, auf dem amerikanischen Kontinent stupide Menschen leben. Nach Immanuel Kant, der den Begriff der "Rasse" in die Philosophie einführt, werden alle mit Ausnahme der Weißen ausgerottet werden. Denn Amerikaner und Afrikaner können sich, so Kant wörtlich "nicht selbst regieren, dienen also nur zu Sclaven."

Inmitten des um sich greifenden Rassismus verfasst in Mexiko der Jesuit Francisco Clavijero eine umfassende Geschichte der Völker und Kulturen Mesoamerikas, in der die angebliche Degeneration der amerikanischen Völker - konkret physische Schwäche, moralische Laster wie Feigheit, Diebstahl und Sodomie und das Fehlen einer Schriftkultur - Punkt für Punkt zurückgewiesen wird. Die Rassisten in Europa sind nach Clavijero Schreibtischtäter, die von ihrem Studierzimmer in Berlin über die angebliche "Minderwertigkeit" fremder Völker schwadronieren. Clavijero hingegen hat nach eigenen Angaben, "sechsunddreißig Jahre in einigen Provinzen dieses weiträumigen Reiches gelebt, die Sprache der Mexikaner erlernt und mit den Mexikanern selbst zusammengelebt."

Doch Clavijeros Werk verhallt nicht zufällig ungehört in den Hallen der europäischen Aufklärung. Denn, so glaubt der Naturphilosoph de Pauw, es würden auch Europäer, die länger in Amerika leben, der Degeneration verfallen. Dies bedeutet: Seit dem 18. Jahrhundert stellt Europa nicht nur die Humanität der indigenen Völker in Frage; vielmehr erfahren sich auch die Nachkommen der europäischen Kolonisatoren als Menschen zweiter Klasse, mit denen ein vernünftiger Dialog unmöglich sei. Von nun an sind, wie Leopoldo Zea, der maestro der mexikanischen Philosophie betont hat, auch die Kreolen zum "Objekt desselben Fragezeichens" geworden.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Joaquin Rodrigo
Titel: Fantasia para un gentilhombre - für Gitarre und kleines Orchester
* Danza de las hachas; Allegro con brio - 3.Satz (00:02:08)
Solist/Solistin: Pepe Romero /Gitarre
Orchester: Academy of St.Martin in the Fields
Leitung: Sir Neville Marriner
Länge: 02:00 min
Label: Philips 4114402

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