Im Gespräch
"Ich geh und lasse meine Splitter liegen". Renata Schmidtkunz spricht mit Esther Dischereit, Schriftstellerin und Hörspielautorin
25. September 2014, 21:00
Am 4. November 2011 rauben zwei junge Männer in der ostdeutschen Stadt Eisenach eine Sparkasse aus, fliehen auf Fahrrädern mit 70.000 Euro und werden Stunden später tot in einem Wohnmobil gefunden. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hiessen diese jungen Männer, ihre Komplizin Beate Zschäpe stellte sich 4 Tage später in Jena, dem Wohnort des Terror-Trios der Polizei.
Das war das Ende einer Mordeserie, die vom 9.September 2000 bis zum 25.April 2007 Deutschland erschütterte. Die Mordopfer waren bis auf eines Zuwanderer in Deutschland, die meisten von ihnen waren türkisch. "Döner-Morde" wurden sie von der Boulevard-Presse genannt, unterstellt der "Halbmond-Mafia", auch ein Begriff aus dem Boulevard-Jargon. Angehörige wurden verdächtigt, Spuren verwischt, Beweismaterial vernichtet.
Erst mit dem Tod der beiden mordenden Neonazis konnte nicht mehr so weitergeschmäht werden. Bundeskanzlerin Merkel entschuldigte sich im Februar 2012 bei den Angehörigen, dass sie ZITAT: "teils jahrelang unter falschen Verdächtigungen der Sicherheitsbehörden leiden mussten." ZITAT Ende und versprach lückenlose Aufklärung.
Doch immer mehr stellt sich nun heraus, dass die drei aus Jena unmöglich alleine gehandelt haben konnten, dass ein ganzes Netz sie umgeben musste und dass offenbar auch die Geheimdienste, der Verfassungsschutz und die Polizei ihre Rolle in der Angelegenheit spielten. Am 5.September wurde der 2013 begonnene Prozess am Oberlandesgericht München wieder aufgenommen.
Mein heutiger Gast ist die in Berlin lebende Schriftstellerin, Hörbuchautorin und Professorin für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien, Esther Dischreit. Sie hat sich mit den sogenannten NSU-Morden beschäftigt. Das Ergebnis veröffentlichte sie im Frühjahr 2014 als Buch und Hörspiel für Deutschlandradiokultur mit dem Titel "Blumen für Otello. Klagelieder. Über die Verbrechen von Jena."
Esther Dischereit wurde 1952 in Hessen geboren. Studium der Pädagogik, viele Jahre Kultur- und Antirassismusreferentin beim Deutschen Gewerkschaftsbund, DJane, Lehrende an zahlreichen internationalen Universitäten. An der Universität für Angewandte Kunst in Wien hält sie seit Jahren einen Lehrstuhl für Sprachkunst. 2009 wurde sie für ihre Arbeit mit dem Erich Fried-Preis ausgezeichnet.
Service
Esther Dischereit, "Anna macht Frühstück", mit Bildern von Cornelia Seidlein, dtv, München 1985
Esther Dischereit, "Joëmis Tisch. Eine jüdische Geschichte", Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988
Esther Dischereit, "Merryn", Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992
Esther Dischereit, "Der Morgen an dem der Zeitungsträger", Erzählungen, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007
Esther Dischereit, "Vor den hohen Feiertagen gab es ein Flüstern und ein Rascheln im Haus", Eichengrün-Platz Dülmen, Aviva Verlag, Berlin 2009
Esther Dischereit, "Prosa für Kinder", dtv, München (1985)
Hörspiel 2014
Esther Dischereit, " Blumen für Otello", Regie von Giuseppe Maio, Deutschlandradio Kultur
Essays von Esther Dischereit
"Mit Eichmann an der Börse. In jüdischen und anderen Angelegenheiten", Ullstein, Berlin 2001
"Übungen jüdisch zu sein", Essays, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1998, 2. Aufl. 1999
Gedichte von Esther Dischereit
"Vor den Hohen Feiertagen gab es ein Flüstern und Rascheln im Haus", Aviva Verlag, Berlin 2009
"Im Toaster steckt eine Scheibe Brot", Vorwerk 8, Berlin 2007
"Rauhreifiger Mund oder andere Nachrichten", Vorwerk 8, Berlin, 2001
"Als mir mein Golem öffnete", Karl Stutz, Passau 1996
Weiteres
Esther Dischereit zusammen mit Song Du Yul, Michael Denis, Rainer Werning, "Südkorea - kein Land für friedliche Spiele", Reinbek 1988
wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder - November- Schwerpunkt Esther Dischereit
kolik. Zeitschrift für Literatur - Interview mit Esther Dischereit
Deutschlandradio Kultur - Blumen für Otello. Über die Verbrechen von Jena - Hörspiel von Esther Dischereit
20.9.2014 arte yourope - Beitrag über den in Österreich wegen Landfriedensbruch verurteilten Jenaer Studenten Josef S.