Gedanken für den Tag

von Peter Schwarz, Geschäftsführer des Psychosozialen Zentrums ESRA. "Vertrieben, verfolgt, auf der Flucht". Gestaltung: Alexandra Mantler

Ich bin 13 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zur Welt gekommen. Erst viele Jahre später ist mir bewusst geworden, wie sehr meine Eltern, ihre Verwandten und ihre Freunde, durch ihre Erfahrungen zwischen 1938 und 1945 geprägt waren. Die meisten waren aus religiösen oder politischen Gründen verfolgt und vertrieben. Viele haben Eltern oder auch andere Verwandte verloren. Verloren klingt da etwas harmlos. Diese Menschen wurden brutal ermordet oder sind unter erbärmlichen Umständen auf der Flucht an Erschöpfung, Hunger oder Krankheit gestorben.

Viele dieser Überlebenden waren trotz allem nicht verbittert. Viele hatten Lebensfreude und waren lebenshungrig. Viele schienen optimistisch. Jahrzehnte später verstand ich, dass bei vielen dieser Menschen ihre seelischen Wunden nur unter einer dünnen Schicht verborgen waren. Die Wunden waren aber noch da und begleiteten sie ihr ganzes Leben.

Etliche der Überlebenden entwickelten ein ausgeprägtes Engagement, um die Welt zu verändern und zu verbessern. So erinnere ich mich gut auch an Simon Wiesenthal, der nach unendlichen Qualen in unzähligen Lagern doch noch überlebt hatte. Von seiner großen Familie war fast niemand mehr am Leben. Ihm war es wichtig, Verbrechern der gerechten Strafe zuzuführen. Nicht etwa durch Selbstjustiz. Im Glauben an den Rechtsstaat sammelte er Fakten und Beweise, um den Sachverhalt durch ordentliche Gerichte öffentlich klären zu lassen. Dies bedeutete nicht unbedingt auch gerechte Strafen, aber die Menschen, die die Wahrheit wissen wollten, konnten auch verstehen, was unter der NS-Herrschaft an unglaublichen Verbrechen begangen wurde.

Für die Opfer von Verfolgung ist es auch wesentlich zu sehen, dass unsere Gesellschaft diese Verbrechen ernst nimmt und ahndet. Ansonsten ist es nur sehr schwer, das verlorene Vertrauen in die Menschheit wiederzuerlangen.

Service

Psychosoziales Zentrum ESRA

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Antonin Dvorak/1841 - 1904
Titel: Serenade für Streichorchester in E-Dur op.22
* Moderato - 1.Satz (00:04:51)
Orchester: Orpheus Chamber Orchestra
Länge: 02:00 min
Label: DG 4153642

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