Radiodoktor - Medizin und Gesundheit

Wenn der Redefluss stockt - Weltstottertag 2014
Moderation: Prof. Dr. Markus Hengstschläger
Redaktion: Xaver Forthuber, Christoph Leprich

Zum Welt-Stottertag am kommenden Mittwoch, 22.10.:

Der Gedanke ist gefasst, der Satz liegt klar auf der Zunge, doch mittendrin will plötzlich der Sprechapparat nicht mehr mitspielen - es kommt zur Blockade. Eine Silbe, ein Buchstabe steht beim Sprechen wie eine Mauer im Weg, über die man nicht hinwegzukommen scheint. So etwa kann man ein prominentes Symptom von Stotternden beschreiben. Stottern tritt während der Sprachentwicklung bei etwa vier bis fünf Prozent der Kinder auf, in vielen Fällen legt es sich von selbst wieder. Aber immerhin noch jeder hundertste Erwachsene hat mit dieser Störung der Sprechfunktion zu kämpfen - was oft auch zu erheblichen psychischen Belastungen, zu Defiziten in Berufs- und Privatleben führt.

Wenn man ständig die Erfahrung macht, nicht störungsfrei sprechen zu können oder sogar im entscheidenden Moment stecken zu bleiben, werden scheinbar alltägliche Situationen zum Problem - vom Bewerbungsgespräch über den Einkauf bis hin zum Telefonat. Angst, Scham, regelmäßige Frustrationserlebnisse bis hin zum vollständigen Rückzug können die Folge sein. Die meisten Stotternden wünschen sich, dass man ihnen Zeit lässt und ihnen genauso zuhört wie anderen Personen auch. Viele fassen den Mut, ihre Besonderheit einfach anzukündigen und dann so zu sprechen, wie sie es eben tun. Falls gewünscht kann verhaltenstherapeutische Unterstützung im Alltag helfen - viele Logopäden und Logopädinnen integrieren mittlerweile psychotherapeutische Methoden in ihre Therapie und bieten Hilfestellungen für das Alltagsleben an.

Die Ursachen für das Stottern sind nach wie vor weitgehend ungeklärt. Die Statistik verrät, dass die Symptomatik zu einem gewissen Grad vererbbar zu sein scheint. Auch werden in letzter Zeit verstärkt neurologische Ansätze verfolgt, um der Beeinträchtigung des Redeflusses auf die Spur zu kommen. Genforschung und funktionelle CT-Scans, bei denen man Betroffenen während des Stotterns "ins Gehirn sehen kann", versprechen neue Erkenntnisse. Ein vollständiges Verständnis oder gar eine medizinische Behandlungsmethode sind jedoch noch nicht in Sicht.

Die rezente Forschung bestätigt den Verdacht: Stottern ist ein Phänomen mit mehreren Ursachen. Bestimmte Gene, eine Problematik im neuromuskulären System und auch externe Faktoren wie seelische Belastungssituationen wurden bisher als Beteiligte identifiziert und sind zurzeit Gegenstand intensiver Forschungstätigkeit.

Stottern kann nicht "geheilt" werden, sehr wohl aber kann man therapeutisch eingreifen - mit einem Logopäden oder einer Logopädin können Betroffene darauf hinarbeiten, in alltäglichen Kommunikationssituationen störungsfrei zu agieren. Vermeidungsstrategien, die in früheren Jahrzehnten noch im Mittelpunkt standen, sind mittlerweile passé - heutige Stotter-Therapien fokussieren auf Selbsterfahrung, Lockerung und beziehen psychische und soziale Begleitumstände ein.

Die aktuellen Therapieansätze stammen großteils aus den 1970er- und 1980er-Jahren und werden von LogopädInnen individuell angepasst oder kombiniert. Denn die Stotter-Symptomatik ist von Person zu Person recht verschieden, es handelt sich keineswegs immer um ein Stakkato von Silbenwiederholungen, wie ein Klischee nahelegt - und die Anzeichen werden auch von den Betroffenen selbst ganz unterschiedlich erlebt.

Die Therapie kann einzeln oder auch in einer Gruppe stattfinden und erstreckt sich typischerweise über mehrere Monate. Auch ganz kleine Kinder ab etwa zweieinhalb Jahren können von einer Therapie profitieren, umgekehrt ist es aber auch für Jugendliche und Erwachsene niemals zu spät. Persönliche Strategien, die sich jede/r selbst zurechtlegt, sowie der Austausch in Selbsthilfegruppen können eine wertvolle Ergänzung sein.

Über die physischen, psychischen und sozialen Dimensionen des Stotterns, die aktuellsten wissenschaftlichen Theorien und praktische Behandlungsmethoden und was Stotternde von Wissenschaft, Medizin und Logopädie erwarten (können) - darüber diskutieren eine Medizinerin, eine Logopädin und ein Betroffener bei Univ.-Prof. Markus Hengstschläger.

Service

Sendungsgäste:

Sylvia Straka
Logopädin
Am Modenapark 11/8
1030 Wien
Tel.: +43 1 713 25 11
E-Mail

Univ.-Prof.in Dr.in Doris-Maria Denk-Linnert
Allgemeines Krankenhaus - Universitätskliniken
Universitätsklinik für HNO
Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie
Währinger Gürtel 18-20
1097 Wien
Kontakt/Homepage

Dipl.-Kfm. Michael Schmitz
SAP- und Unternehmensberater
aktiv in der ÖSIS-Selbsthilfegruppe in Wien

Anlaufstellen:

Selbsthilfegruppen der Österreichischen Selbsthilfe-Initiative Stottern (ÖSIS):
Oberösterreich: Thomas Kupetz, Tel.: 0699 10081 093; E-Mail
Kärnten: Andrea Arztmann-Schnitzer, Tel.: 0664 2117 869;E-Mail
Salzburg: Eltern-Selbsthilfegruppe: Daniela Moser, Tel.: +43 676 82543312; E-Mail
Steiermark: Mario Gusenbauer, Tel.: 0650 2272927; E-Mail
Tirol: Georg Goller, Tel.: 0664 4167068; E-Mail
Wien: Alfred Müller, Tel.: 0664 4429 552; E-Mail
Südtirol: Südtiroler Initiative Stottern (SIS); Gudrun Reden, Tel.: +39 3492 970566; E-Mail

Literatur:

Ulrich Natke, Anke Alpermann (2010): Stottern. Erkenntnisse, Theorien und Behandlungsmethoden. Verlag Hans Huber. ISBN: 978-3456848914
Gerhard Friedrich, Wolfgang Bigenzahn, Patrick Zorowka (2007): Phoniatrie und Pädaudiologie. Einführung in die medizinischen, psychologischen und linguistischen Grundlagen von Stimme, Sprache und Gehör. Verlag Hans Huber. ISBN: 978-3456845081
Stephan Baumgartner (2012): Sprechwerkzeuge stottern nicht. Zur Komplexität von Stottertherapie. In: Forum Logopädie 26 (2). 6-11.
Claudia Ochsenkühn, Monika Maria Thiel (2010): Stottern bei Kindern und Jugendlichen. Bausteine einer mehrdimensionalen Therapie. Springer Medizin Verlag. ISBN: 978-3540428688
Wendlandt, W. (2009): Stottern im Erwachsenenalter. Grundlagenwissen und Handlungshilfen für die Therapie und Selbsthilfe. Thieme. ISBN: 978-3131290311
Johannes von Tiling, Stephen Crawcour, Jürgen Hoyer (2014): Kognitive Verhaltenstherapie des Stotterns. Ein Manual für die psychotherapeutische und sprachtherapeutische Praxis. Verlag W. Kohlhammer. ISBN: 978-3-17-024263-0

Links:

Leitlinien "Stottern" der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
ÖSIS
Logopädie in Österreich - mit TherapeutInnenliste
Kasseler Stottertherapie, Dr. Gudenberg
Intensive Intervalltherapie Stottern
Überblick Therapiemethoden

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