Zwischenruf

von Oberkirchenrat Johannes Wittich (Wien)

Schon ein eigenwilliger Begriff: Das "Zeitkonto". Wie Geld angesparte Zeit. Immer mehr Dienstgeber bieten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an, auf Gehalt zu verzichten und dafür mehr freie Zeit konsumieren zu können. Der Anspruch des Dienstnehmers oder der Dienstnehmerin wird so auf einem "Zeitkonto" verbucht. Und immer mehr Menschen nehmen eine solche Möglichkeit in Anspruch. Ein österreichisches Wochenmagazin hat gerade seine Titelstory diesem Phänomen gewidmet. Und zeigt sich verwundert, dass nicht nur mehr privilegierte soziale Schichten oder Einkommensgruppen Zeit vor Geld stellen, sondern zunehmend auch Menschen mit niedrigerem Gehalt. Im selben Artikel stellt ein Freizeitforscher fest: "Zeit ist die knappe Ressource des 21. Jahrhunderts und daher den meisten Menschen wichtiger als Geld." Also nicht mehr: Zeit ist Geld, sondern: Zeit ist wertvoller als Geld.

Wenn also die Nachfrage nach Zeit den Wert der Zeit in die Höhe schnellen lässt - wie gehen wir dann mit dieser Ressource um? Einerseits ist Zeit, also Lebenszeit, unverfügbar. Wir können nicht selbst bestimmen, wie lange oder wie kurz wir leben. Es geht also darum, die zur Verfügung gestellte Zeit angemessen zu nützen. Denn eines ist schon klar, um in der Sprache der Wirtschaft zu bleiben: Zeit gehört zu den Rohstoffen unseres Lebens, die nicht erneuerbar sind. Zeit ist, wenn sie vorbei ist, auch wirklich endgültig vorbei.

Mit Arbeit, mit Leistung gefüllte Zeit reicht, um ein Leben sinnvoll erscheinen zu lassen, nicht aus. Die freie Zeit ist die, in der ich dem nachgehen kann, was mir wirklich wichtig ist. Eigentlich traurig, wenn Stunden, in denen gearbeitet wird, oft so wenig sinngebend empfunden werden. Als instrumentalisierte Zeit, die nur der Existenzsicherung dient. Das ist allerdings angesichts von Anforderungen, die immer höher und Arbeitsbedingungen, die immer härter werden, und, in der Folge, steigender Burn-Out-Raten auch kein Wunder.

Ich denke, ein Ausspielen von Arbeits- und Freizeit gegeneinander hilft nicht weiter. Es geht um die vielzitierte work - life - balance, also um ein ausgewogenes Gleichgewicht. Und es geht darum, Struktur in meine Lebenszeit zu bringen. Nicht nur im Sinne von Abwechslung, vielmehr: Jede Art von vollbrachter Zeit hat ihre eigene Wertigkeit, ja ihren eigenen Zauber.

Von jeher haben Religionen Hilfen vermittelt, um Zeit zu strukturieren und bestimmte Lebensmomente einzigartig zu machen. Das können begleitende Rituale für gewisse Lebensphasen und einmalige Lebensmomente sein. Das können aber auch wiederkehrende Festtage sein, die einem ganzen Jahreskreis Struktur geben. Beides hilft, dass Lebenszeit nicht nur einfach "dahinfährt wie ein Strom", wie es einmal ganz pessimistisch ein Beter aus dem biblischen Buch der Psalmen gemeint hat. Sondern in der Vielfalt einzelner Lebenszeiten ihre jeweils eigene Bedeutung haben.

Religiöse Feste sind somit Statements gegen als beliebig verkaufte Zeit. Das gilt besonders für den Tag, der wöchentlich wiederkehrend einer Auszeit aus Tretmühle der Arbeit dienen soll - in der hebräischen Bibel der Sabbat, von Christinnen und Christen heute als Sonntag begangen. Der Tag, der mir vermittelt: Du hast eben nicht nur zu produzieren, materielle Werte zu schaffen. Du darfst dich auch einmal einen Tag lang der Idee, deinen Wert als Mensch aufgrund deiner Leistung zu bemessen, verweigern.

Nicht von ungefähr, denke ich, taucht die Debatte um die Sonntagsöffnung von Geschäften gerade in diesen Tagen des viel zitierten "Weihnachtsumsatzes" wieder auf. Wirtschaftlich gesehen mag die Argumentation nachvollziehbar sein. Allerdings: Wo bleibt das Besondere eines bestimmten Moments, wenn er letztendlich beliebig austauschbar ist. Wo bleibt das besondere eines Tages, wenn er sich von den anderen Tagen gar nicht mehr abhebt. Die Ressource Zeit braucht Wertschätzung und will sinnvoll eingesetzt sein - die Ressource Zeit, die sich nicht auf einem Konto abspeichern und dann beliebig abrufen lässt. Denn das hieße, mit der Zeit inflationär umzugehen. Die Zeit, die jetzt gerade ist, hat ihren eigenständigen Wert. Zeit hat ihren eigenen Rhythmus. Und wenn wir ihr den nicht lassen, geraten auch wir aus dem Takt.

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