Gedanken für den Tag

von Mirja Kutzer, Germanistin und katholische Theologin. "Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn - wenn Fasten, dann Fasten" - Zum 500. Geburtstag der Teresa von Ávila. Gestaltung: Alexandra Mantler

Gastlichkeit

"Die innere Burg", eines der späten Werke der Teresa von Ávila ist für die europäische Mystik das, was für die Philosophie die Logik des Aristoteles ist. Es ist ein Standardwerk der Methodik, eine Kriteriologie von Wahrheit. Inhaltlich könnte es freilich kaum gegensätzlicher sein. Teresa geht es nicht um die Widerspruchsfreiheit von Sätzen oder die Richtigkeit von Schlussfolgerungen. Mit der Inneren Burg schafft sie eine große Fiktion. Sie malt ein kristallenes Gebilde mit vielen Wohnungen. In diese Wohnungen kann der Leser, die Leserin mittels der durch den Text gelenkten Fantasie eintreten und Besucher empfangen. Dieser Ort einer großen Gastlichkeit ist ein gemaltes Bild, ein figurierter Raum - kein Abbild von irgendetwas. Und doch ist die Fiktion für Teresa ein Ort der Wahrheit.

Die Mystikerin will damit den Regungen ihres Inneren Ausdruck verleihen. Es ist gleichzeitig die Einladung an die Mitschwestern ihres Ordens, in ihr eigenes Inneres einzutreten. Dies erinnert an das berühmte "Erkenne dich selbst" des delphischen Orakels, das in der Geschichte von Theologie und Philosophie eine große Karriere gemacht hat. Doch ist die Antwort bei Teresa speziell. Auf die Frage "Wer bist du?" antwortet in der Inneren Burg der Genuss. Die Burg ist ein Garten der Liebe, den die Nonnen jederzeit auch ohne Erlaubnis ihrer Oberen betreten können. In ihren Wohnungen empfindet das Ich Freuden und sinnliche Vergnügungen. Es erhält delikate Geschenke. So findet das Ich nicht in erster Linie sich selbst, sondern die Spuren, die ein Anderer - der Geliebte, Gott - hinterlässt.
Das Ich, so kann man von Teresa lernen, ist nicht autark. In der Suche nach sich selbst und der eigenen Identität lebt immer schon die Sehnsucht nach demjenigen, der uns Erfüllung zu schenken vermag. Ohne diese Sehnsucht, die einem anderen Raum ins uns selbst gibt, sind wir nicht.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Moxica < Hofliederbuch >
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Heilige Teresa von Avila/1515 - 1582
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Santa Teresa de Jesus/1515 - 1582
Gesamttitel: LUX FEMINAE - 900-1600 : SIEBEN BETRACHTUNGSWEISEN DER FRAU DES ALTEN HESPERIEN VOM MITTELALTER BIS ZUR RENAISSANCE
IV FEMINA MISTICA
Titel: Alma, buscarte has en Mi
Anderssprachiger Titel: O Seele, du musst dich in mir suchen, und mich musst du suchen in dir
Solist/Solistin: Montserrat Figueras /Sopran
Solist/Solistin: Jordi Savall /Viola da gamba
Solist/Solistin: Friederike Heumann /Baß Viola da gamba
Solist/Solistin: Andrew Lawrence King /Arpa cruzada
Solist/Solistin: Begonia Olavide /Psalterium
Länge: 02:00 min
Label: Alia Vox AVSA 9847

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