Radiokolleg - Jung bleiben beim Altwerden

Geschichte einer ewigen Sehnsucht (2). Gestaltung: Sabrina Adlbrecht

Dass sich das Altern vermeiden ließe, ist ein uralter Traum der Menschheit; und die Angst vor dem körperlichen und geistigen Verfall hat im Lauf der Jahrtausende zahlreiche Varianten des Spruches vom frühen Tod als göttliche Gnade hervorgebracht.

Die heutige Wohlstandsgesellschaft allerdings wünscht sich längstmögliches Leben im Diesseits, und eine stetig wachsende Verjüngungsindustrie setzt der göttlichen Gnade das Label "Anti-Aging" entgegen. Das hält zwar den Alterungsprozess nicht wirklich auf, vermag aber - in Grenzen - Alterserscheinungen vorzubeugen. Sprachlich ist die Eliminierung des Alters im öffentlichen Diskurs längst gelungen: "Alte Leute" sind heutzutage zu flotten "Senioren" oder einer "Generation Fünfzig Plus" geworden, und "Greise" gibt es gar nicht mehr. Auch diese konsequente Verdrängung weist freilich auf die tiefe Verwurzelung des Traumes von der ewigen Jugend hin. Die Vorstellungen vom Leben außerhalb der unerbittlichen Zeit findet sich ja auch in allen Kulturen, und die alten Verjüngungsphantasien (man denke an die Jungbrunnen im Mittelalter und all die anderen Zaubereien) speisen natürlich auch die neuen Bemühungen der Biomedizin und aller einschlägiger Techniken.

Im späten 19. Jahrhundert - also in einer Zeit, in der sich gewohnte Bezugssysteme und althergebrachte ideelle Ordnungen aufzulösen begannen - sei der Körper, so meinen Expert/innen, vom Natur- zum Kulturobjekt geworden, an dem sich zwei konkurrierende aber auch kooperierende Konzepte, die "natürliche" und die "künstliche" Verjüngung, erproben sollten. Das eine setzte auf Regeneration durch Gymnastik und Naturheilkunde, das andere auf erste hormontherapeutische und chirurgische Optimierung, wodurch zugleich einer Menge zum Teil brisanter kultureller, biopolitischer und eugenischer Ideologien Tür und Tor geöffnet wurde.

Inmitten all dessen ist er, der Traum vom Jungsein und Jungbleiben, als einziger zwar nicht jung, aber doch wenigstens uralt geblieben, und in jeder Hinsicht fruchtbar: Von der wissenschaftlichen Forschung bis zum schlichten Geschäft mit einer höchst säkularen Jugendreligion. Und so sieht sich auch jede "Anti-Aging"-Medizin heute den hemmungslosen Verheißungen einer teilweise grotesken Schönheitspropaganda gegenüber - kann aber, zugleich, auch immer mehr seriöse Möglichkeiten in Aussicht stellen, den Traum vom Jungsein möglichst lang zu träumen; nicht zuletzt dadurch, indem sie die Angst vor dem Älterwerden möglichst alt aussehen lässt.

Service

Veranstaltungshinweis:

Medicinicum Lech 09. - 12. Juli 2015
Thema u.a.: Einfluss der Ernährung auf den Alterungsprozess
Medicinicum


Literatur:

Nora Aschacher: Bald alt? Na und! Eine Expedition zum Kontinent der Langlebigkeit. Edition a, Wien, 2015. ISBN 978-3-99001-115-7

Stephen Cave: Unterblich: Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben als Triebkraft unserer Zivilisation. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 2012. ISBN 978-3-10-010235-5

Bernd Kleine-Gunk/Markus Metka: Auf der Suche nach Unsterblichkeit. Die Geschichte der Anti-Aging-Medizin von der Antike bis heute. Verlag Brandstätter, Wien 2010. (Vergriffen)

Christina Ratmoko: Damit die Chemie stimmt. Die Anfänge der industriellen Herstellung von weiblichen und männlichen Sexualhormonen 1914 - 1938. Interferenzen 16, Chronos-Verlag, Zürich, 2010. ISBN 978-3-0340-1008-5

Lotario di Segni (Papst Innozenz III.): Vom Elend des menschlichen Daseins, übersetzt von Carl-Friedrich Geyer, Olms-Verlag, Hildesheim, 1990

Heiko Stoff: Ewige Jugend: Konzepte der Verjüngung vom späten 19. Jahrhundert bis ins Dritte Reich. Böhlau-Verlag, Köln, 2004. ISBN 3-412-11103-1


Zitierte Primärliteratur:

Karel Capek: Die junge Generation. In: Figaro 6, 1929

Hermann Hesse: Mit der Reife wird man immer jünger. Betrachtungen und Gedichte über das Alter, hg. v. V. Michels (Insel-Taschenbuch, Bd. 2311), Frankfurt a.M., 1990. ISBN 978-3-4583-4011-9

Boris Vian: Et on tuera tous les affreux (1948). Dt. Übersetzung (Eugen Helmlé): Wir werden alle Fiesen killen. Verlag Wagenbach, Berlin, 2001. ISBN 3-8031-2406-9



Links:

Hohenems Genealogie
Pratercottage
German Society of Anti-Aging Medicine e.V.
Institut Neumünster

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