Salzburger Nachtstudio

Gebote, Verbote und die Illusion, frei zu sein. Eine kulturkritische Diagnose aus philosophischer Sicht.
Gestaltung: Sabrina Adlbrecht

Ob es um Sicherheitsvorschriften im Straßenverkehr geht, um das Rauchen in Lokalen oder um Bildungsfragen - wohin man schaut: Jeder Lebensbereich wird, so scheint es, immer mehr von Regeln, Verboten und Kontrollen bestimmt. Der Staat weiß offenbar immer besser, was gut für seine Bürger/innen ist und mischt sich zunehmend in deren Leben ein. Das Merkwürdige daran ist aber: Die meisten Menschen scheint das nicht zu stören, ganz im Gegenteil: Man hat eher den Eindruck, das hochmoralische Kontrollvirus sei extrem ansteckend. Anders gesagt: Wir begeben uns oft freiwillig in Unfreiheit, manchmal auch ohne uns dessen bewusst zu sein. Denn wenn Kontrolle zu einem allgemeinen Bedürfnis wird, braucht es keine dezidierten Verbote mehr. Kennzeichnen und Beschriften, Mahnen, Warnen, Vorsorgen, Nachsorgen und Bewerten reichen da völlig aus. So wird, im Zeichen der Selbstoptimierung, zum Beispiel die persönliche Gesundheit zu einer moralischen Frage: Wer ungesund lebt - zum Beispiel raucht - der gefährde ja nicht nur sich selbst, sondern auch seine Mitmenschen - und landet daher im gesellschaftlichen Abseits.

Regulierungen und Ächtung unerwünschten Verhaltens, so sagt die Philosophie, stünden symbolhaft für eine zunehmende Entsolidarisierung der Gesellschaft - in der der andere ausschließlich als Bedrohung wahrgenommen wird.

Zudem steige das Bedürfnis nach mehr Kontrolle mit dem Maß an Unsicherheit in einer Gesellschaft. Als Allheilmittel dagegen gelte "Transparenz", "Durchschaubarkeit" - also: Kontrolle und Information. Dadurch entstehe eine Kultur des Verdachts auf Kosten anderer sozialer Werte wie zum Beispiel Vertrauen. In der digitalen Kommunikation komme es im Namen der "Transparenz" zu einer totalen Preisgabe der Privatsphäre. Dadurch würden wir zu Spielbällen, zu Objekten einer subtil agierenden Informationsindustrie, die mit all diesen freiwillig abgelieferten Privatdaten lukrative Geschäfte mache.

Diese Lenkung der Psyche gilt als erstrangiger Faktor der Konsumwirtschaft, als wichtigste Quelle moderner Produktionsprozesse. Die sogenannte Freiheit werde im Zeichen neoliberalen Denkens dazu missbraucht, uns alle auszubeuten.

Inwieweit hat diese düstere Diagnose der gesellschaftlichen Gegenwart tatsächlich ihre Berechtigung? Wird da nicht Manches von manchen zeitgenössischen Philosophen einseitig betrachtet oder doch haltlos übertrieben?

Und, vor allem: Welche Alternativen haben die Kritiker/innen des berühmten Satzes "Es gibt keine Alternative" parat? Und was sind wir, fragt Sabrina Adlbrecht, Spieler oder Ball?

Service

Byung-Chul Han: "Müdigkeitsgesellschaft". Matthes & Seitz, Berlin 2010, ISBN 978-3-88221-616-5.
Ders.: "Transparenzgesellschaft". Matthes & Seitz, Berlin 2012, ISBN 978-3-88221-595-3.
Ders.: "Im Schwarm. Ansichten des Digitalen". Matthes & Seitz, Berlin 2013, ISBN 978-3-88221-037-8.
Ders.: "Psychopolitik: Neoliberalismus und die neuen Machttechniken (Essayband)". S. Fischer Verlag, Frankfurt 2014, ISBN 978-3100022035.
Robert Pfaller: "Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie". S. FischerWissenschaft, Frankfurt a.M., 2011. ISBN: 978-3-10-059033-6


Literatur von und über Bjung-Chul Han
Literatur von und über Robert Pfaller
Robert Pfaller
Literatur von und über Norbert Bolz
Literatur von und über Petra Gehring

Sendereihe

Gestaltung