Zwischenruf

von Bischof Michael Bünker (Wien)

Die Wahrheit lässt sich nicht verbrennen - Zum 600. Todestag von Jan Hus

Am 6. Juli des Jahres 1415 wurde in Konstanz am Bodensee am frühen Morgen ein Scheiterhaufen errichtet. Er war gedacht für Jan Hus, den aus Böhmen stammenden Reformator. Hus war nach Konstanz zum dort tagenden Konzil gekommen, um seine Lehren zu verteidigen. Es war ihm freies Geleit zugesichert worden. Dennoch wurde er bald nach seiner Ankunft verhaftet und mehreren Verhören unterworfen. Stets hat er sich geweigert zu widerrufen. So kam es zum Urteil: Tod durch Verbrennen. Um jeden Märtyrerkult von vornherein zu unterbinden wurde seine Asche in den Rhein gestreut.

Aber diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Die hussitische Bewegung hat erst mit dem Tod von Jan Hus richtig Fahrt aufgenommen. Das ganze 15. Jahrhundert hindurch gab es mehrere blutige Auseinandersetzungen, die sogenannten Hussitenkriege, die sich auch im heutigen Österreich, vor allem im Waldviertel, massiv ausgewirkt haben. Erst mit dem Jahr 1620 und der Niederlage der Evangelischen am Beginn des Dreißigjährigen Krieges wird es still um Jan Hus und seine Nachfolger.

Martin Luther hat sich hundert Jahre nach dem Tod von Hus ganz ausdrücklich in seine Tradition gestellt. Wir waren alle Hussiten, sagte er einmal. Das war überraschend, denn Hus galt doch als abschreckendes Beispiel: So geht es einem, wenn er die Kirche kritisiert und ihren Machtanspruch in Frage stellt. Kein Wunder, dass Luther an Hus erinnert wurde, als er auch mit der Zusicherung des freien Geleits zum Reichstag nach Worms aufgebrochen ist.

Im neunzehnten Jahrhundert erlangte Jan Hus im damaligen Böhmen neue Bedeutung. Er hatte ja die Abhängigkeit der Kirche von Rom kritisiert und sich für die Liturgie und Predigt in der Volkssprache eingesetzt. So wurde er zu einem Vertreter des erwachsenden tschechischen Nationalbewusstseins. Das wirkte sich besonders in den Jahren des Ersten Weltkrieges und danach aus. Im Jahr 1925 beschließt die noch junge Tschechoslowakei, dass der Todestag des Jan Hus, der 6. Juli, zum nationalen Gedenktag wird. Deshalb sind an diesem Wochenende und vor allem am morgigen Montag in Prag große offizielle Gedenkfeiern angesetzt.

Jan Hus wollte die Kirche reformieren. Sie sollte demokratisch sein, die Frauen beteiligt werden, die Laien besondere Rechte bekommen, der Gottesdienst verständlich für alle und in der Landesprache gefeiert, das persönliche Gewissen besonders berücksichtigt und vieles mehr, was heute ganz selbstverständlich ist, nicht nur in den evangelischen Kirchen, sondern auch in der römisch-katholischen Kirche, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine ganze Reihe dieser Reformanliegen aufgenommen hat. Johannes Paul II. hat konsequenterweise 1999 sein Bedauern über den Tod des Jan Hus ausgesprochen. Heute ist er ein Zeuge, ein Märtyrer für die wahre Kirche.

Oft dauert es lange, bis die Kirchen gegenseitige Verurteilungen überwinden können. Manchen dauert es zu lange, das ist wahr. Aber - auch das zeigt die Erinnerung an Jan Hus - irgendwann ist es so weit. Die Wahrheit lässt sich nicht verbrennen.

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