Radiokolleg - Magier mit Bügelfalte
Der Großbürger und literarische Selbstdarsteller Thomas Mann (3). Gestaltung: Sabrina Adlbrecht
12. August 2015, 09:30
Er war, anerkannt von Freund und Feind, der letzte deutsche Großschriftsteller - mit seinem enormen epischen Werk weit hineinragend in das Zwanzigste Jahrhundert, wo es "am neunzehntesten" war - und bis heute wirksam, ganz im Sinn seiner stets um Distanz bemühten Ironie. Thomas Mann, Sohn einer angesehenen Patrizierfamilie in Lübeck, war von Anfang an umstritten: Als er eben diese seine Patrizierfamilie mit subtiler, beinahe satirischer Akribie portraitierte: Der Roman "Buddenbrooks", 1901 erschienen, war für den 26jährigen der Durchbruch, begründete seinen Ruhm und brachte ihm - viele Jahre später - den Nobelpreis ein. Seine exemplarische Versammlung zeittypischer Charaktere im 1924 erschienenen Meisterwerk "Der Zauberberg", vermochte die bourgeoisen Kritiker an seiner bourgeoisen Haltung ebenso wenig zu beruhigen wie später, angesichts seiner "Joseph"-Romane, die Gegner seiner vermeintlich religionsverhafteten, erzählerisch Tolstoi verbundenen und unverändert minutiösen Weltbetrachtung.
Die Nationalsozialisten wussten wohl, weshalb sie Thomas Mann quasi auf den ersten Blick hassten und so schnell wie möglich aus dem Land pöbelten. Der Autor blieb dennoch auch in der Emigration ein Solitär: Eine seltsam konservativ-revolutionäre Erscheinung und vor allem mit ideologischen Mitteln kaum fassbar.
Er war so etwas wie der natürliche Feind aller Unkultur - so oft er sich, später dann, auch in Widersprüche verstricken sollte; auch in solche politischer Art. Denn zu seiner Tadellosigkeit gehörte auch die extreme Komplexität seines Inneren, zur Bügelfalte das magische Interieur. Dass man einen Dichter wie ihn je irgendwo "einordnen" könnte, empfand er als einen "horreur". Schließlich habe er, der Lübecker Großbürgersohn, der in die Emigration nach Frankreich und in die Schweiz, dann in die USA getrieben wurde - schließlich habe er gelernt, was es bedeute, Zeitläufte mit Anstand zu überdauern: Rechtzeitig zu lernen, einen Hut zu tragen. Damit man den ziehen könne, wenn es gebühre. Oder eben auch nicht.
Nach dem Krieg zog es Thomas Mann nicht nach Deutschland, wohl aber nach Europa zurück, und er ließ sich erneut in der Schweiz nieder. Im Alter von achtzig Jahren starb er am 12. August 1955 in Zürich.
Service
CD:
Thomas Mann: Deutsche Hörer!, gelesen von Thomas Mann. derHörverlag / Bayerischer Rundfunk 2003/BBC 1941-1945. ISBN 978-3-89940-398-5:
Literatur:
Michael Ansel, Hans-Edwin Friedrich, Gerhard Lauer (Hg.): Die Erfindung des Schriftstellers Thomas Mann. Verlag De Gruyter, 2009. ISBN-13: 978-3110201369
Thomas Anz: Psychoanalyse in der literarischen Moderne. Ein Forschungsbericht und Projektentwurf. In: Die Literatur und die Wissenschaften 1770-1930. Hg. von Karl Richter, Jörg Schönert und Michael Titzmann. Stuttgart: Metzler und Poeschel, 1997.
Magdalena Bachmann: Das Tagebuch als Laborprotokoll - Experiment Großschriftsteller. In: Düsseldorfer Beiträge zur Thomas Mann Forschung, Düsseldorf 2015 (= Schriftenreihe der Thomas Mann Gesellschaft Düsseldorf 3), im Erscheinen.
Manfred Dierks: Studien zu Mythos und Psychologie bei Thomas Mann. An seinem Nachlass orientierte Untersuchungen zum ,Tod in Venedig', zum ,Zauberberg' und zur Joseph-Tetralogie, 1972, 2. Aufl. (Klostermann) 2003.
Ders.: Der Wahn und die Träume. Eine fast wahre Erzählung aus dem Leben Thomas Manns (Roman). (Artemis & Winkler) 1997.
Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Eine Biographie. Fischer Taschenbuch Verlag, 5. Auflage, Frankfurt am Main, 2013 (Erstausgabe: 2001) ISBN: 978-3-596-14872-1
Torsten Hofmann (Hg.)/Rainer Maria Rilke: Schriften zu Literatur und Kunst. Reclam Verlag, Ditzingen, 2009. ISBN-13: 9783150186701
Dietmar Krug: Eros im Dreigestirn. Zur Gestaltung des Erotischen im Frühwerk Thomas Manns. Verlag: Peter Lang; Auflage: 1 (1997), ISBN-13: 978-3631312483
Rolf G. Renner: Das Ich als ästhetische Konstruktion. Der "Tod in Venedig" und seine Beziehung zum Gesamtwerk Thomas Manns (=Rombach Wissenschaft, Reihe Litterae. Hrsg. v. Gerhard Neumann), Freiburg 1987.
Uwe Timm: Montaignes Turm. Essays. Kiepenheuer und Witsch, Köln, 2015. ISBN: 978-3-462-04743-1
Thomas Mann - Heinrich Mann: Briefwechsel 1900 - 1949. Hg. von Hans Wysling, Frankfurt 1968, als Taschenbuch 1975, erw. Neuausgaben 1984 und 1995.
Thomas Mann, Essays. Nach den Erstdrucken, textkritisch durchgesehen, kommentiert und hg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski, 6 Bde., Frankfurt 1993-1997.
Thomas Klugkist: 49 Fragen und Antworten zu Thomas Mann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003.
ISBN 9783100422194
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Thomas Mann oder der Selbsterwählte - Zehn polemische Thesen über einen Klassiker von Hanjo Kesting