Tonspuren

21. September 2015, 21:00

Alles begann vor Jahrzehnten in einem überfüllten Zug, der von Venedig nach Wien fuhr. Ein italienischer Student entdeckte einen freien Sitzplatz, auf dem allerdings die Beine eines österreichischen Studenten lagerten. Als der Österreicher sich taub stellte, nahm der Italiener dessen Beine, beförderte sie auf den Boden und setzte sich.

Aus dieser zufälligen Begegnung resultierte eine wunderbare Freundschaft. Nuccio Pepe wurde Arzt und Schriftsteller, David Vyssoki wurde Psychotherapeut und gründete das psychosoziale Zentrum ESRA, in dem man sich um durch Flucht und Verfolgung traumatisierte Menschen und ihre Nachkommen kümmert. So viel ist wahr. Wahr ist auch, dass einiges aus Davids Lebensgeschichte in Nuccios mehrfach ausgezeichneten Roman "Der Zweifel," eingeflossen ist. Davids Eltern sind der Ermordung durch die Nationalsozialisten nur mit knapper Not entgangen und bald nach dem Krieg gestorben. Aber der Autor begnügt sich nicht damit, die Biografie seines Freundes zu erzählen, er erfindet sie auf exemplarische Weise neu und wagt eine Gratwanderung zwischen Fakten und Fiktion. Denn gute Literatur ist niemals Reality-TV.

Nathan aus dem Buch entdeckt in einem geheimen jüdischen Archiv ein verhängnisvolles Dokument, das ihn nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. War sein Schwiegervater an der Deportation von Nathans Eltern nach Dachau beteiligt oder hat er ihnen das Leben gerettet?

Das Archiv in der Wiener Herklotzgasse gab es, sagen Nuccio und Pepe. Das Dokument gab es nicht. "Der Zweifel ist eine Hommage an die Hoffnung," sagen beide. Aber Nuccio ist mehr auf Seiten der Hoffnung, David mehr auf Seiten des Zweifels.

Sendereihe

• Ö1 Kunstsonntag: Tonspuren

Gestaltung

• Eva Schobel