Betrifft: Geschichte

Mehr als eine "Krücke für die Augen". Zur Geschichte der Brille. Mit Manfred E.A.Schmutzer (Wissenschaftssoziologe, Univ.-Prof. emer. TU/Wien).
Gestaltung: Martin Adel

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren Brille tragende Kinder arm: sie wurden gehänselt - "Brillenschlange" oder so ähnlich. Heute ist die Brille ein modisches Accessoire, das man gleich in mehrfacher Ausfertigung passend für das jeweilige Outfit besitzen sollte (manchmal sogar, wenn man gar keine Brille braucht!) - Intellektuellenlook ist schick.

Erst wenn man weiter, viel weiter in die Geschichte zurückgeht, gewinnt die Frage nach diesem die Sehkraft steigernden bzw. korrigierenden Utensil an tieferer Bedeutung. Abgesehen vom Wort selbst - es leitet sich vermutlich von der spätmittelhochdeutschen Bezeichnung für geschliffene klare Kristalle "berille" ab; und das wiederum von dem Mineral Beryll - hat die (Lese-)Brille natürlich mit Optik und Linsen zu tun.

Linsen zur Vergrößerung benützten offenbar schon die alten Ägypter; im Abendland wurden sie wohl erstmals benützt, um kleine Reliquien größer erscheinen zu lassen. Bergkristall war da oft noch billiger als Glas. Die optischen Schriften Ibn al-Haitams und neue Fertigungstechniken von farblosem Glas (beide um 1.000 n. Chr.) erreichten mit Verzögerung die abendländischen Klosterbibliotheken. Die Verbindung von Bibliothek und Brille liegt auf der Hand. 1327: der gelehrte Mönch William von Baskerville ("Der Name der Rose") besucht eine Benediktinerabtei im Appenin; er trägt eine Brille! Umberto Eco hat gut recherchiert. Die Sehhilfe für beide Augen wurde zu Ende des 13. Jahrhunderts in der Toskana erfunden.

Ab dem frühen 15. Jahrhundert beginnen sich die sogenannten "Brillen-Apostel" in der Malerei zu häufen. Wer trägt schon Brille? Wer kann sich das leisten? Trotzdem gehört die Brille zu den Schlüsselerfindungen Europas (nach David S. Landes), weil "die Erfindung der Brille die Lebensarbeitszeit in Berufen, bei denen es auf ein gutes Auge ankommt, mehr als verdoppelt hat." Die Brille erobert also weite Teile der Arbeitswelt und steigert auch die Effizienz, die Genauigkeit und - den Gewinn.

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