Radiokolleg - Der Sozialstaat

Ein Erfolgsmodell auf dem Prüfstand (2).
Gestaltung: Sabine Nikolay

Schweden, Finnland, Dänemark, Deutschland und Österreich gelten als die Vorzeigeländer in Sachen sozialer Absicherung und Sozialleistungen. Die Form des Sozialstaates, in dem die Gelder für die notwendigen Leistungen sozialpartnerschaftlich von Unternehmen und Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aufgebracht werden, gilt als eine der großen Errungenschaften moderner Demokratien. Die Idee dahinter: Zerlumpte Menschen, die sich mit ihrer Hände Arbeit nicht ernähren können, deren Nachkommen keine Zukunft haben, das sogenannte "Lumpenproletariat" und seine Elendsquartiere, sollten für immer verschwinden. Die Segnungen des Sozialstaates waren hoch: Das Heer der Armen ist geschrumpft, mit Armut und Unterernährung assoziierte Krankheiten wie Tuberkulose und Rachitis sind aus Europa verschwunden, Arbeiter- und Bauernkinder schafften den Weg an höhere Schulen und Universitäten. Die Gleichstellung von Frauen, aber auch von Menschen mit Behinderungen, die Pflege alter und kranker Menschen, dies alles und noch viel mehr sollte sichergestellt werden. Wie weit das geglückt ist, gilt es zu überprüfen.

Lange Zeit übernahmen die Krankenversicherungen einen Großteil der Behandlungskosten in Arztpraxen und Spitälern, doch die Leistungen werden geringer, Selbstbehalte steigen. Auch die Spitäler sind überlastet, Gangbetten und Personalmangel sind die Folge. Während Wirtschaftstreibende und -politiker/innen über zu hohe Lohnnebenkosten klagen, geraten viele Menschen in prekäre Lebenssituationen, da sie keine reguläre Anstellung mehr finden: Die "neuen Selbstständigen" gelten im Sozialversicherungssystem als Unternehmer/innen, die voll beitragspflichtig sind. Meist handelt es sich aber um Menschen mit Zeitverträgen, freien Dienstverträgen oder Werkverträgen, die kein Betriebsvermögen haben und in Wirklichkeit abgabenschonende "versteckte Angestellte" sind.

Doch auch für Menschen in echten Anstellungsverhältnissen wackelt die Sicherheit: Fälle von Kündigungen während langer Krankenstände gibt es heute ebenso wie Kündigungen älterer Mitarbeiter/innen, die aufgrund ihrer Vordienstzeiten und Erfahrung keinen Job mehr finden, weil sie zu teuer wären. Viele Angestellte klagen über die hohen Abgaben bei ständig schrumpfendem Leistungsvolumen der Sozialversicherungen. Und zusätzlich regt sich im Schatten der Flüchtlingskrise erneut Widerstand gegenüber "Sozialschmarotzern", "Tachinierern" und "ewigen Arbeitslosen" aber auch gegenüber "Ausländern" und Flüchtlingen. Dazu kommt der Ruf nach einer Kürzung der Mindestsicherung und einer Erhöhung des Pensionsalters.

Wohin entwickelt sich der Sozialstaat? Haben wir genug für alle? Können alle Leistungen, die gebraucht werden, auch angeboten werden? Und ist das finanzierbar? Brauchen wir ein neues Modell des Sozialstaats oder reicht ein "Makeover" des bestehenden?

Service

Links, Broschüren und ein Ausstellungskatalog:

AK-Wien: Top Vermögen und Einkommen in Österreich
Neue Zahlen und Fakten

Arbeiterkammer
Statistik Austria: Statistiken zur Vermögensverteilung, BIP, Vermögenszuwachs etc
Faktencheck Mindestsicherung
Profit Organisationen im Sozialbereich:Traiskirchen: "Wir sind nur Dienstleister". Kommerzialisierung und Zähmung von Flüchtlings- und Sozialarbeit
WIFO: Flüchtlingskosten, BIP und Co.

Nicht Gnade sondern Recht. Sozialpolitik seit 1848 im Spiegel von Kunst, Kultur und Medien, Materialien zu einer Ausstellung der AK Wien, ÖGB Verlag 1989

Bei der AK erhältlich sind die "Kurswechsel"-Hefte. Hier sei Heft 2/2015 empfohlen, zum Themenspektrum "Vermögensungleichheit, Kapitalismus und Demokratie"

Daniel Häni, Philip Kovce, Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt, Orell Füssli Verlag, Zürich 2015
Karl Marx, Das Kapital, 3 Bände, ab 1867, zahlreiche Neuauflagen; zitiert wurde aus der Ausgabe des Dietz Verlages, 1977, Berlin
Verena Pawlowsky, Harald Wendelin, Die Wunden des Staates. Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914-1918. Böhlau Verlag Wien Köln Weimar 2015.
Tomás Sedlá?ek, Die Ökonomie von Gut und Böse, Hanser Verlag 2012
Joseph Stiglitz, Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht, Siedler Verlag 2012
Wolfgang Schneider, Einführung in Marx' Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Dietz Verlag Berlin 1988
Gabriele Winkler, Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft, transcript Verlag 2015
Gerhard Gäbler, Roland Steidl (Hg.), Soziale Strategien für morgen - ein Plädoyer, Otto Müller Verlag Salzburg 2016

Sendereihe

Gestaltung