Gedanken für den Tag

von Oliver Tanzer, Autor und Leiter des Wirtschaftsressorts der "Furche". "Das Kapital, die Arbeit und die Menschenwürde". Gestaltung: Alexandra Mantler

Die Ruhe

Bald wird der Tag der Arbeit sein. Was wäre also angebrachter, als heute einmal von der Ruhe zu sprechen. Ist es nicht interessant, dass Ruhe im religiösen Sinn der eigentliche Lohn für Arbeit und Mühe ist. Nicht Schätze und Wohlstand, nein die Nicht-Tat. In der Schöpfungsgeschichte belohnt sich Gott selbst mit einem ganzen Tag Arbeitslosigkeit. Und vielleicht ist diese Ruhe gar das Ziel der Schöpfung überhaupt.

Nun, viele der wirtschaftlichen Probleme beginnen eigentlich da, wo die Wirtschaft meint, der Lohn, das Geld, könne die Ruhe ersetzen, in der Meinung, die Ruhe sei "unproduktiv". Daraus entsteht die Philosophie des Fließbandes und des rastlosen Energiestromes, den man Fleiß nennt, das beständige Produzieren von Waren und Werten. Und das Ziel dieser Werte ist es wieder, dass es uns besser gehe und wir reich und zufriedener werden. So wird es versprochen und angepriesen.

Nun, das mit dem Reichtum hat funktioniert, nur an der Zufriedenheit hapert es noch. Warum? Genau deshalb: Weil unser Wachstum keine Ruhe kennt. Genau diese Ruhelosigkeit ist auch einer der Hauptkritikpunkte der Enzyklika Centesimus annus.

Geändert hat sich nichts in den 25 Jahren seit Veröffentlichung des Papst-Schreibens. Die olympischen Ideale der Marktwirtschaft produzieren um der Produktion willen, nicht um des Fortschritts willen. Was wir heute Fortschritt nennen, ist viel zu oft der stumpfe Gleichschritt und werktätiger Trott. Und diesem Trott-Syndrom kommt es sehr gelegen, dass es uns die Zeit nimmt, darüber nachzudenken, welchen Sinn und Zweck das Getane eigentlich hat.

Was würde man dann eigentlich sehen? Die mit Fetischen und Glücks-Placebos vollgestopfte Existenz? Die Einsamkeit, die zugeschüttet werden muss? Die Freizeit, die auch noch mit Produktivität aufgeladen werden muss. Mit der Schrittzähler-App auf dem Handy bleibt man selbst beim Spaziergang produktiv. Die Gesellschaft lebt also in einem Horror vor der Ruhe und Leere. Freilich, in unserem Unbewussten sind wir ja schon so weit wie der Liebe Gott, der sich ausruht nach der Schöpfung. Es kann ja kein Zufall sein, dass wir den Tag der Arbeit feiern, indem wir nicht arbeiten.

Service

Oliver Tanzer, "Lilith und die Dämonen des Kapitals", Hanser-Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Hannes Jaric /Sotosek
Album: PIANO ROCK'N'ROLL TIME
Titel: After work/instr.
Ausführende: Hannes Jaric Duo /Klavier, Percussion
Länge: 02:00 min
Label: Star Music 900104

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