Tonspuren

"Mir sind immer die Gedanken davongerannt." Die unbeachtete Schriftstellerin Henriette Haill. Feature von Mirjam Jessa.

Schon mit vier, fünf Jahren ist ihr bewusst, dass sie vom Leben nichts Großes zu erwarten hat. Zum Schlüsselerlebnis wird ein Weihnachtsspiel in der Kinderbewahranstalt, das Henriette Haill in ihrer autobiografischen Erzählung "Der vergessene Engel" verarbeitet. Sie soll einen Engel spielen, im perlenbesetzten Kleid mit Silberflügeln und Heiligenschein. Doch zum Verkleiden kommt es gar nicht. Die Klosterschwestern vergessen sie einfach im dunklen Speisesaal.

Henriette Haill wurde 1904 in Linz geboren und wuchs zusammen mit vier Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen am Römerberg auf. Bis zum 14. Lebensjahr durfte sie die Schule besuchen, dann musste sie selbst für ihren Unterhalt sorgen - als Dienstmädchen, Hilfsarbeiterin, Näher- und Strickerin. Mit 18 trat sie dem Kommunistischen Jugendverband bei, mit 20 wurde sie Mitglied der KPÖ und engagierte Kommunistin.

Wandern war ihr Befreiung. Mit ihrem ersten Ehemann ging sie sogar mehrmals auf die Walz. Am liebsten wanderte sie durchs Mühlviertel. "Im Mühlviertel bin ich aufgegangen als wenn ich es selbst gewesen wäre. Das Hohe, das Gigantische ist mir nichts. Mir ist nur das Kleine, wie ich selbst bin, etwas. Die Hügel, die kleinen Erhebungen, das Herbe."

Zwei Ehen, vier Kinder, die Arbeit zuhause, im Nebenerwerb und für die Partei. Trotzdem hat Henriette Haill immer auch geschrieben. Erhalten sind etwa 1.500 Gedichte und 44 Erzählungen. Nur ein kleiner Teil wurde gedruckt, viel ist verloren gegangen. Und wie ist zu erklären, dass Henriette Haill auch zu Lebzeiten weitgehend unbeachtet blieb? Erich Hackl, der sich zuletzt um Aufmerksamkeit für sie bemühte, hat es so formuliert:

"Henriette Haill war in fünffacher Weise dazu bestimmt, von der literarischen Öffentlichkeit übersehen zu werden: aufgrund ihrer ärmlichen Herkunft; aufgrund ihrer kommunistischen Gesinnung; aufgrund ihrer Zuwendung zur geographischen wie sozialen Peripherie; aufgrund ihres Geschlechts; aufgrund ihrer Bescheidenheit."

Aber Henriette Haill wusste um ihre Begabung, ihre Beobachtungsgabe, ihre Phantasie. Sie beschreibt sich selbst, das Schulmädchen Jettel, wie es in der Bank sitzt, den Schwalben draußen zuhört, dem Parkwächter, der den Kies recht, wie es den Ast sieht, der zurückschwingt, aber die Frage der Lehrerin überhört: "Mir sind immer die Gedanken davongerannt."

Service

Broschüre über Henriette Haill

Bibliothek: Henriette Haill "Kampfgedichte und Friedenslieder" (Neue Zeit, Linz an der Donau 1946)

Henriette Haill "Der vergessene Engel" (Prosa) (Edition Geschichte der Heimat, Franz Steinmaßl 1991)

Henriette Haill Straßenballade (BuchWerkstatt Thanhäuser 1996)

Christine Roiter: Henriette Haill - Annäherung an einen vergessenen Engel (Der Andere Verlag 2006)

Erich Hackl "Das Alphabet nach Henriette Haill" aus "In fester Umarmung" (Diogenes)

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Urheber/Urheberin: Wenzel
Titel: STRASSENBALLADE
Straßenballade
Ausführender/Ausführende: Wenzel/Ges.m.eig.Beg.
Länge: 01:00 min
Label: Matrosenblau 914092

Urheber/Urheberin: Karl Stirner
Titel: SCHICHTEN
Erste Schicht
Zweite Schicht
Dritte Schicht
Letzte Schicht
Ausführender/Ausführende: Karl Stirner/Zither, Produktion
Länge: 04:00 min
Label: nff 2348 Nonfoodfactory/Lotus

Urheber/Urheberin: Karl Stirner
Titel: SCHICHTEN
Wachau
Ausführender/Ausführende: Karl Stirner/Zither, Produktion
Länge: 01:00 min
Label: nff 2348 Nonfoodfactory/Lotus

weiteren Inhalt einblenden