Gedanken für den Tag

18. Mai 2016, 06:56

Eine alte Frau in China unterstützte viele Jahre lang einen Mönch. Sie baute ihm eine Einsiedlerhütte und versorgte ihn mit Nahrung und Kleidung.

Nach 20 Jahren fragte sie sich, was er wohl erreicht habe und beschloss, ihn auf die Probe zu stellen. Sie holte ein schönes Mädchen aus dem Dorf und schickte es zu dem Einsiedler mit der Anweisung, ihn zu umarmen und dann zu fragen, wie er sich fühle. Das Mädchen streichelte den Mönch und fragte: "Wie fühlst du dich jetzt?"

"Ein verwitterter Baum auf einem kalten Felsen hat im Winter keine Wärme", entgegnete der Mönch. Das Mädchen kehrte zur alten Frau zurück und erzählte ihr was geschehen war. "Was?" schrie die alte Frau. "Ich habe all die Jahre einen Hochstapler unterstützt?" Sie eilte zur Einsiedelei, verjagte den Mönch und verbrannte seine Hütte.

Freiheit von Leid entsteht nicht durch Unterdrückung von Gefühlen, Bedürfnissen und Emotionen. Echte Freiheit erkennt aber ihr wahres Wesen und ihren Wert. Achtsamer Umgang mit allen Phänomenen entwickelt in uns zunehmende Wertschätzung für alles, was uns im Innen und Außen begegnet.

In der buddhistischen Praxis hat die Askese genauso keinen Platz, wie das bedingungslose Schwelgen im Luxus. Es gibt kein einfaches "richtig" oder "falsch". In der Mitte dieser beiden Pole müssen wir uns auf die mühevolle Suche nach der Fülle unseres Seins begeben. Wir brauchen Geduld, weil wir diese Fülle auch immer leicht verlieren können und sie dann wieder neu suchen müssen.

Achten wir aber darauf, die Ganzheit unseres Mensch-Seins nicht zu verlieren, sonst könnte die alte Frau aus China kommen und die Hütte in Brand legen, in der wir es uns gerade bequem gemacht haben!

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler