Gedanken für den Tag

23. Mai 2016, 06:56

"Mein Urgroßvater war ein weiser Mann." Mit diesem Blick zurück beginnt James Krüss seinen ersten Roman und erzählt darin von einem Kinder-Sommer auf Helgoland. Für uns wirken diese "Begebenheiten und Ereignisse aus der Hummerbude" deutlich verwegen. Vielleicht sogar ein wenig exotisch - so wie auch die Geschichte des Schweizer Alpenkindes Heidi an der Nordseeküste exotisch wirken mag.

Der norddeutsche Kinderbuchautor James Krüss, der am 21. Mai 90 Jahre alt geworden wäre, ist bei uns wenig bekannt. Dennoch war er einer derjenigen, der gerade mit seiner Kinderlyrik wichtige Impulse für eine Modernisierung der deutschsprachigen Kinderliteratur nach 1945 gegeben hat. Auch in "Mein Großvater und ich" sind immer wieder Gedichte und Sprachspielereien eingebaut - wie das verkehrt herum angelegte ABC-Gedicht über eine unberechenbare Yacht:

Zantens Yacht Xanthippe War
Völlig Unberechenbar,
Trieb Stets Regelwidrig Quer,
Prosperierte Oft Nicht Mehr,
Landete Kreuz-Jammerbar
Im Haiti-Hafen Gar,
Fuhr Entgegenkreuzend Dann
Cubas Blumenküste An.

Ordnung wird hier auf den Kopf gestellt und neu hergestellt. Darin liegt eine der Besonderheiten der Literatur von James Krüss. Dies hat weniger damit zu tun, dass seine Bücher an Kinder adressiert sind, sondern vielmehr damit, dass sie aus kindlicher Perspektive erzählt sind. Ein solcher kindlicher Blick auf die Welt wird bestimmt von zahlreichen ersten Erfahrungen. Der erste Besuch der Hummerbude, das erste Zusammentreffen mit dem Alm-Öhi, der erste Blick in bis dahin unerforschte Winkel der Welt. Kaspar Spinner charakterisiert die Kinderliteratur durch das Moment des Staunens. Als Erwachsene Kinderliteratur zu lesen heißt also auch, sein Verhältnis zur Welt neu abzustimmen und einen zweiten, staunenden Blick auf das Alltägliche zu wagen.

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler