Radiokolleg - Die Informationsgesellschaft
Von der Macht des algorithmischen Denkens
(2). Gestaltung: Armin Medosch
14. Juni 2016, 09:05
Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in geheimen Forschungslabors und an Eliteuniversitäten die Schlüsseltechnologien der heutigen Zeit entwickelt, die Digitalrechner und die elektronische Nachrichtenübertragung. Im Zuge der durchgängigen und allumfassenden Digitalisierung der Kultur erlangten Informationstechnologien Einzug in immer mehr Lebensbereiche und finden sich heute etwa in Form von Smartphones in jeder Jackentasche. Doch während diese Form der Informationsrevolution große mediale Aufmerksamkeit genoss, ereignete sich eine weniger laute Revolution des Denkens und Erkennens. Pioniere wie Norbert Wiener und Claude Shannon entwickelten ein völlig neues Konzept der Information auf mathematischer Grundlage. Anstatt Information als Nachricht mit Bedeutungsgehalt aufzufassen, wurde diese als rein statistische Größe der Wahrscheinlichkeit einer Auswahl definiert. Der natürliche Akt der Kommunikation wurde in das Sender-Empfänger-Schema gepresst. Diese Reduktion der Information auf eine mathematisch bestimmbare Größe war nicht nur technisch extrem erfolgreich, sondern hat im Zusammenspiel mit der neuen Einheitswissenschaft der Kybernetik unsere Sicht auf die Welt grundlegend verändert. Die Metaphern der Kybernetik und der Mythos Information infiltrierten in den 1950er und 1960er Jahren ganze Wissenschaftszweige. Der Fokus verlagerte sich vom reflektierenden Bewusstsein des Menschen auf seine rein äußerlichen Verhaltensmuster. Die Kybernetik versuchte nicht mehr zu verstehen, wie etwas in seinem Innersten funktioniert - sei es eine Maschine, ein Tier oder ein Mensch - sondern beschrieb diese als sich mittels Feedback und Information selbst erhaltende Systeme.
Nach kurzer Flaute in den 1970er Jahren, erlebte die Kybernetik unter neuen Bezeichnungen wie Komplexitätsforschung in den 1980er und 90er Jahren ein Comeback. Im Zuge des Hypes um Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben, haben wir uns daran gewöhnt, dass nicht länger wir selbst autonom sind, sondern die Roboter und Softwareagenten. Mittels Big Data und Netzwerkanalyse wird untersucht, wer welche Zahnpasta benutzt oder zu einem Terrornetzwerk gehören könnte. Immer öfter wird menschliche Entscheidungsgewalt an Informations-Maschinen delegiert, schieben sich Algorithmen zwischen uns und die Welt.
Doch was von den einen als "humanistische Kränkung" empfunden wird, als Herabsetzung der Menschenwürde in einer von der Zahl regierten Welt, bietet auch Chancen. Die Digitalisierung der Kultur führte zur Ausweitung der kulturellen Teilhabe, begleitet von durchgreifendem Wertewandel bei Themen wie Gender und Ethnizität. In der globalen Kommunikationssphäre findet ein Abbau der Schranken zwischen Hoch- und Populärkultur und eine Demokratisierung des Wissens durch Plattformen wie Wikipedia statt. Während die Bedeutung der humanistischen Bildung sichtbar abgenommen hat, gewinnen neue Formen des sozialen und kulturellen Austauschs zwischen vernetzten Individuen an Wert.
Service
Literatur:
Felix Stalder, Kultur der Digitalität, Suhrkamp 2016
Erich Hörl, Die technologische Bedingung, Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt. Suhrkamp 2011