Gedanken für den Tag

von Brigitte Schwens-Harrant, Theologin, Germanistin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "die Furche". "Anders sehen". Gestaltung: Alexandra Mantler

Anders sehen

"Don Quijote wird von den Klugen verlacht, weil er immerfort alles für etwas anderes hält, als es ist. Wie recht er doch hat!" Das schrieb einmal Michael Ende. Was meinte er damit? Don Quijote gilt doch als verrückter Leser, der die Wirklichkeit gar nicht mehr erkennen kann?
Nur vordergründig erzählt dieser berühmte Roman von Miguel de Cervantes davon, wie der Realitätssinn auf die Phantasie trifft und mit ihr kollidiert. Denn auch das anfangs vielleicht noch klare Schema - hier der kluge, aber fantasiegeleitete Don Quijote, dort der etwas einfältige, aber mit genügend Realitätssinn ausgestattete Begleiter Sancho Panza - wird im Lauf des Romans kräftig durcheinandergeschüttelt.

Immer deutlicher wird, dass es gar nicht so einfach ist zu sagen: hier ist das Reale, zum Beispiel eine Rasierschüssel, und da ist die Fantasie, wenn etwa die Schüssel auf dem Kopf sitzt und Helm ist. Die Episoden erzählen, wie sehr es davon abhängt, aus welcher Perspektive die Wirklichkeit wahrgenommen wird. Weltanschauung und Deutungsmuster machen aus der Wirklichkeit erst die Wirklichkeit, die dann behauptet wird. Der Augenschein kann trügerisch sein.

Don Quijote sieht sehr gut, er sieht immer anders als die anderen. Doch auch das lässt sich ändern. Eine Abstimmung zur Frage "Ist die Rasierschüssel eine Rasierschüssel oder ein Helm?" führt etwa zum Ergebnis: Sie ist ein Helm.

Jene Romanfiguren, die die Wirklichkeit gegen Don Quijote ins Spiel bringen, haben diese nicht so fest in ihrer Hand, wie sie denken. Immer verwirrender wird, was als wirklich zu gelten hat. Für jeden ist das wahr, was ihm gerade in seinen Weltentwurf passt. Cervantes streut den Zweifel ein, auflösen tut er die Frage nicht - auch das macht seinen Roman so modern, Jahrhunderte, bevor die sogenannte Moderne begann. Absolute Wahrheit? In diesem Roman wird sie demontiert. Cervantes bringt einander widersprechende "Wahrheiten" ins Spiel.

Don Quijotes Liebe macht sympathisch anders sehend, meint Schriftsteller Carlos Fuentes: "Don Quijote täuscht sich nicht. Er idealisiert Dulcinea, aber in einer überraschenden Passage gesteht er ein, daß Dulcinea das stramme Bauernmädchen Aldonza ist. Aber macht es nicht die Qualität der Liebe aus, daß sie fähig ist, die Geliebte zu etwas Unvergleichlichen zu machen, so daß es unerheblich ist, ob sie reich ist oder arm, gewöhnlich oder von edlem Geblüt?"

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Titel: GFT 160707 Gedanken für den Tag / Schwens-Harrant
Länge: 03:49 min

Komponist/Komponistin: Traditional
Album: PACO PENA: AZAHARA - FLAMENCO GUITAR RECITAL
Titel: Mantilla y Peina < Guajiras >
Solist/Solistin: Paco Pena /Gitarre
Länge: 02:00 min
Label: Nimbus NI 5116

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