Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg, Leiterin des Dommuseums Wien. "Der Jenseitsmaler" - Zum 500. Todestag von Hieronymus Bosch. Gestaltung: Alexandra Mantler

Kein Rot, kein Gelb, kein Blau. Stattdessen Grau in allen Variationen. Dazwischen verschiedene Braunabstufungen. Die zurückhaltende Farbigkeit dieses kreisrunden Bildes fasziniert mich. Noch mehr beschäftigt mich das Dargestellte des in den Jahren 1500 bis 1510 gemalten Ölbildes "Der Landstreicher" von Hieronymus Bosch.

Die Holztafel war ursprünglich Teil eines Triptychons und hängt heute in Rotterdam. Im Zentrum ist ein Mann mit zerrissenem Gewand, verbundenem Fuß und zwei unterschiedlichen Schuhen zu sehen. Besonders spannend ist die Körperhaltung des Wanderers mit einem Korb auf dem Rücken und einem Stock in der Hand. Denn dieser scheint in seiner Vorwärtsbewegung innezuhalten. Er blickt nachdenklich oder fragend nach hinten. Tatsächlich spielt sich hinter dem Rücken des Mannes einiges ab. Neben einem zähnefletschenden Hund zieht vor allem ein heruntergekommenes Haus die Aufmerksamkeit auf sich. Denn dort geschehen allzu weltliche Dinge. Ein Mann pinkelt an die Hauswand, ein Paar tauscht Zärtlichkeiten aus, eine Unterhose hängt zum Trocknen aus dem Fenster.

Interpreten unterschiedlicher Zeiten haben sich bis heute die Finger wund geschrieben, um dieses rätselhafte Bild zu deuten. Die einen sehen darin das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn dargestellt, die anderen meinen einen Pilger, einen Hausierer oder sogar Verbrecher in dem Wandernden zu erkennen.

Mich begeistert vieles an diesem Gemälde. Die Mischung aus Humor und Tiefgründigkeit. Der Detailreichtum. Die Alltäglichkeit. Ich mag an Bosch, dass er zutiefst ernste Themen aufwirft, aber diese mitten im banalen Leben verhandelt. Und dass er trotz moralisch-ethischen Hintergrunds nie belehrt.

Der Wanderer erinnert an jene, die damals wie heute heimatlos durchs Land ziehen. Er steht aber auch für die Reise durchs Leben an sich. Bosch zeigt unübersehbar in diesem kleinen Gemälde, dass jede Vorwärtsbewegung auch ein Zurückblicken ist. Dass es immer Momente des Nachdenkens gibt. Augenblicke, in denen es zu entscheiden gilt, ob der eingeschlagene Weg auch der richtige für einen ist.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Anonym
Album: MUSIK AUS MITTELALTER UND RENAISSANCE
Titel: Almande für Blockflöte, 2 Krummhörner, 2 Violen da gamba und Trommel aus dem "Löwener Tanzbuch"
Allemande
Ausführende: Paul Hofhaimer Consort
Leitung: Michael Seywald
Länge: 02:00 min
Label: Pan Sound PanSC015

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