Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg, Leiterin des Dommuseums Wien. "Der Jenseitsmaler" - Zum 500. Todestag von Hieronymus Bosch. Gestaltung: Alexandra Mantler

Alle wollen mehr. Die Menschen sind so gierig, dass sie sogar einen Mord begehen. Zugleich erweist sich alles Streben nach materiellen Gütern als sinnlos. Denn letztendlich ist es nur Heu, nach dem sie unersättlich greifen. Hieronymus Boschs legendäres "Heuwagen"-Triptychon aus dem Madrider Prado entstand vor 500 Jahren, in den Jahren 1510 bis 1516.

Die Mitteltafel des dreiteiligen Werks zeigt ein einzigartiges Bildmotiv. Durch eine Landschaft rollt ein riesiger Heuwagen, gefolgt von den Großen und Reichen, darunter ein Kaiser und ein Papst. Vertreter der verschiedenen Gesellschaftsschichten wie Bürger, Bauern, aber auch Mönche und Kleriker versuchen möglichst viel Heu zu ergattern. Sie scheinen nicht zu bemerken, dass teufelsartige Wesen den Karren in die Hölle ziehen. Hoch über dem Wagen beobachtet Christus in einer Wolkenaureole das maßlose Treiben.

Dass Bosch das Thema heilsgeschichtlich einbettet, wird durch die linke Tafel deutlich. Hier ist die Schöpfung der Welt vom Fall der Engel bis zur Vertreibung aus dem Paradies zu sehen. Die rechte Tafel stellt eine Hölle mit brennenden Häusern und horrorartigen Gräuelszenen dar.

Heutigen Betrachtern und Betrachterinnen sind die Sprichwörter rund ums Heu als Symbol der Vergänglichkeit wie der Habsucht oder auch die entsprechenden Bibelstellen nicht mehr so geläufig wie im 16. Jahrhundert. Und dennoch spricht dieses Bild eine Sprache, die auch heute noch unmissverständlich ist. Es behandelt ein Thema, das im übertragenden Sinne aktueller denn je ist, denkt man an die Banken- und Wirtschaftskrise 2008 und das Platzen der Immobilienblase.

Ich kann dieses Bosch-Triptychon stundenlang betrachten, auch wenn das Thema nicht gerade optimistisch stimmt. Denn die Schönheit der Malerei, die ungemeine Harmonie der Farbgebung und die vielen skurrilen, liebevoll gemalten Szenen sind die reinste Augenweide. Genau das fesselt mich an bildender Kunst. Sie kann die Vielfalt menschlichen Lebens auf unvergleichliche Weise in sich vereinen; kann erschütternd und aufbauend zugleich sein.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Titel: GFT 160727 Gedanken für den Tag / Johanna Schwanberg
Länge: 03:49 min

Komponist/Komponistin: Anonym /Löwener Tanzbuch, 1571
Album: MUSIK AUS MITTELALTER UND RENAISSANCE
Titel: La Reprinse - aus dem "Löwener Tanzbuch" für Regal und Schellentrommel
Ausführende: Paul Hofhaimer Consort
Leitung: Michael Seywald
Länge: 02:00 min
Label: Pan Sound PanSC015

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