Gedanken für den Tag

von Wolfgang Müller-Funk, Kulturphilosoph und Essayist. "Dialog: Über das Reden mit Anderen und Anderem". Gestaltung: Alexandra Mantler

Im friedlichen, dialogischen Umgang mit Fremdem und anderem scheint es zwei Grundoperationen zu geben. Der deutsche Phänomenologe Bernhard Waldenfels bezeichnet sie als Aneignung und Enteignung. "Fremdsein", schreibt er "wird bewältigt, indem es am eigenen gemessen wird." Es wird zur Doublette oder Variante unseres Selbst. Tendenziell bringen wir den anderen durch eine derartige dialogische Umarmung zum Verstummen oder gar zum Verschwinden.

Was uns in der Begegnung mit dem Gegenüber beunruhigt, ruft nämlich den Wunsch nach Kontrolle hervor. Wenn wir nach Gemeinsamkeiten des anderen mit uns suchen, dann verfahren wir nach dem Prinzip der Analogie. Analogie, hat der mexikanische Dichter Octavio Paz bemerkt, ist die Methode, das Neue und Unvertraute vertraut zu machen.

Die andere ebenfalls romantische Methode im Umgang mit dem Fremden ist die Enteignung, genauer die Selbstenteignung, die Auslieferung an das Fremde. "Die "Egozentrik", notiert Waldenfels, wird "beseitigt, indem das Fremde und Fremdartige an die Stelle des Eigenen und Eigenartigen tritt." Jedweder Exotismus beruht auf diesem Mechanismus.

Beide Operationen sind in dialogischen Situationen unverzichtbar, verfehlen aber letztlich das Fremde und andere. Aneignung und Enteignung bringen das andere durch gegenläufige symbolische Manipulationen zum Verschwinden. Beide verfolgen eine monologisierende und vereinheitlichende Strategie. Demgegenüber lässt sich behaupten, dass das Fremde und andere sich durch keine symbolische Technik aus der Welt schaffen lässt. Wenn der, die, das andere den Ausgangspunkt für unser dialogisches Verhalten bildet, dann ist das Gespräch ein Akt produktiver Resignation: Wir bleiben im Gespräch, auch, weil wir uns immer verfehlen und uns nie ganz verstehen werden.

Service

Wolfgang Müller-Funk, "Theorien des Fremden. Eine Einführung", UTB Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Sergej Rachmaninoff/1873 - 1943
Gesamttitel: 7 Preludes aus op.32 von Sergej Rachmaninoff
Titel: Prelude Nr.12 op.32 in gis-moll für Klavier - Allegro
Solist/Solistin: Svjatoslav Richter /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: JVC VDC 1026

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