Radiokolleg - Der aufrechte Gang

Untersuchungen des Bewegungsapparates
(4). Gestaltung: Madeleine Amberger

Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion. Diese Feststellung trifft auf nichts so sehr
zu wie auf die Wirbelsäule. Ihre Doppel-S-Kurve ist nötig, damit der Mensch auf
seinen zwei Beinen stabil balancieren kann. Doch genau diese Eigenschaft macht sie
für Beschwerden anfällig: von Osteoathritis bis zum Bandscheibenvorfall und zu
Spontanfrakturen.

Alle Probleme des Bewegungsapparates - von der Wirbelsäule über die Hüftgelenke, die Knie bis zu den Füßen - verdanken wir unserer einmaligen Fortbewegungsart: dem aufrechten Gang. Er ist die Wurzel allen Übels und das Ergebnis der Evolution. Diese erfindet bekanntlich für neue Arten keine neuen Bestandteile, sondern rüstet bestehende, die taugliche Dienste leisteten, einfach um. Der aufrechte Gang bildete sich schon bei den Urmenschen heraus. Lucy, das berühmte weibliche Skelett eines Australopithecus afarensis ist geschätzte 3.2 Millionen Jahre alt. Doch die ersten Anpassungen fanden bereits mehr als eine Million Jahre zuvor in der Hüftmechanik statt.

Paläomediziner meinen, unser Bewegungsapparat ist auf eine reibungslose Funktion von etwa 50 Jahren ausgerichtet. Vorausgesetzt, wir bewegen uns ausreichend. Nun ist die Lebenserwartung deutlich gestiegen, und viel Bewegung ist für die meisten Menschen bloß ein guter Vorsatz. Die Folge sind Muskel-Skelettstörungen von wahrlich epidemischen Ausmaßen. Der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) in Deutschland erhob die Ursachen, warum Arbeitnehmer gleich für mehrere Wochen pro Jahr Krankenstand beanspruchten. Als Volkskrankheit Nummer eins stellten sich dabei Erkrankungen des Bewegungsapparates, insbesondere Rückenschmerzen, heraus.

Traditionellerweise verschreiben Ärzte den Patienten Schmerzmittel, Massagebehandlungen oder empfehlen bei Bandscheibenvorfall gar eine Operation. Letzteres, so die jüngsten Erkenntnisse, sei jedoch in den meisten Fällen überflüssig. Erfahrungen zeigen, dass die genannten passiven Therapieformen bei chronischen Rückenbeschwerden wesentlich weniger greifen als gezielte Bewegung. Doch um Patienten dazu zu motivieren, muss man ihnen die Angst nehmen, dass Bewegung neuen Schmerz verursacht.

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