Erasmus-Brücke in Rotterdam

AP/PETER DEJONG

Gedanken für den Tag

von Rupert Klieber, Theologe, Historiker und Professor für Kirchengeschichte. "Größe und Tragik eines Humanisten" - Zum 550. Geburtstag des Erasmus von Rotterdam. Gestaltung: Alexandra Mantler

Der Paradegelehrte Erasmus von Rotterdam geriet durch die Reformation nach 1517 zwischen die Stühle, weil er bis zuletzt eine Parteinahme verweigerte. Alte Freundschaften zerbrachen daran.

Die Protestanten, allen voran Luther selbst, unterstellten ihm nun Feigheit und Charakterlosigkeit. Erasmus widerstand aber auch dem Werben zweier Päpste, nach Rom zu übersiedeln. Nicht wenige altgläubige Kollegen warfen ihm vor, dem religiösen Umsturz den Boden bereitet zu haben. Einige Jahre nach seinem Tod 1536 knöpfte sich die spanische Inquisition die Erasmianer vor; seine Werke kamen auf den päpstlichen Index verbotener Bücher.

Erasmus von Rotterdam ist in den folgenden Jahrhunderten nie ganz vom Radar der Geisteswelt verschwunden. Polen, wohin er zuletzt Kontakte geknüpft hatte, war einige Zeit Erasmus-Land; dort blieb der religiöse Friede lange gewahrt. Vor allem aber folgten die jungen Vereinigten Staaten seinem Ideal der christlichen Prägung ohne staatskirchlichen Zwang. In Europa aber haben die Geschichtsbücher der Nationalstaaten und getrennten Kirchen Erasmus lange zur Randfigur degradiert. Erst als es zwischen den Kriegen und im Kalten Krieg erneut am Abgrund stand, erinnerte man sich seiner.

Der Schriftsteller Stefan Zweig setzte Erasmus 1934 ein literarisches Denkmal, als die braune Flut in Österreich bereits bedrohlich anstieg. Der Kulturhistoriker Friedrich Heer widmete ihm 1962 ein Porträt. Eine niederländische Stiftung lobt jährlich einen Erasmus-Preis aus, der seither an mehr als 70 verdiente Personen verliehen wurde, darunter dem heuer verstorbenen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt. Den ersten Erasmus-Preis 1958 erhielt im Übrigen das gesamte österreichische Volk für sein ehrliches Bemühen, Brücken über die Gräben aus der Zeit vor 1945 zu schlagen. Ob wir auch 2016 noch preiswürdig sind, lasse ich dahingestellt.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Melchiore de Barberiis/um 1500 - nach 1549
Album: MUSICA MEDITERRANEA - MUSIK DER ITALIEN. & SPANISCHEN RENAISSANCE
Titel: Madonna qual certezza - für zwei Lauten
Ausführende: Kithara
Ausführender/Ausführende: Christopher Wilson /Sechschörige Laute
Ausführender/Ausführende: Shirley Rumsey /Sechschörige Laute
Länge: 02:00 min
Label: Chandos CHAN 0562

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