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Literarisches Österreich: Wien. "Die größere Hoffnung". Von Ilse Aichinger. Es liest Eva Mayer. Gestaltung: Julia Zarbach

Wien, nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich: Die zehnjährige Ellen bekommt kein Visum für die Ausreise in die Vereinigten Staaten, um ihre jüdische Mutter zu begleiten. Für die Nationalsozialisten gilt Ellen als "Halbjüdin", denn sie hat einen jüdischen Elternteil. Den Davidstern muss sie nicht tragen, ihre Tante und ihre Großmutter, die sich um das zurückgebliebene Kind kümmern, jedoch schon.

Ellen steht dazwischen: für die "arischen" Kinder ist sie "zu jüdisch", ihre jüdischen Freunde beneiden sie um die Privilegien, die ihnen durch das Tragen des Davidsterns verwehrt bleiben. Je länger der Krieg dauert, umso schwieriger wird die Situation für Ellen, als immer mehr Leute in ihrem Umkreis deportiert werden.

Ilse Aichingers Debutroman "Die größere Hoffnung", erschienen 1947, ist stark autobiografisch gefärbt. Wie die Protagonistin Ellen wurde auch Aichinger als "Halbjüdin" nicht direkt von den Nationalsozialisten verfolgt. Der jüdische Teil ihrer Familie, bei dem sie aufwuchs, lebte jedoch in ständiger Angst vor der Deportation.

Aichingers Großmutter und andere Familienmitglieder wurden in nationalsozialistischen Lagern ermordet. Das Motiv der Hoffnung, das sich durch den Roman zieht, beschrieb die Autorin später als unglaublich starkes und schönes Gefühl, verbunden mit dem Glauben daran, dass alle, die abgeholt worden waren, zurückkommen würden. Die Nachkriegszeit, die diese Hoffnungen zerstörte, war laut Aichinger deshalb schlimmer als die Kriegszeit selbst.

Als "Die größere Hoffnung" erschien, war die Autorin 27 Jahre alt. Nach mehreren erfolgreichen Publikationen in den 1950er Jahren zog sie sich immer mehr aus der Literaturszene zurück und veröffentlichte nur noch wenige Texte. "Die größere Hoffnung" blieb ihr einziger Roman. Ilse Aichinger starb 2016 in Wien.

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