Urbane Strukturen und Ausgrenzungsmechanismen

Banlieue: Die sozialen Randzonen der Städte

Wo verlaufen die sozialen Bruchlinien in europäischen Städten? Wären Unruhen wie jene in Frankreich im Herbst 2005 auch in anderen europäischen Ländern möglich? Diese Fragen beschäftigen Soziologen und Politiker.

Vorort oder Vorstadt geben Wörterbücher als Übersetzung für das französische Wort Banlieue an. Bereits seit mehreren Jahrzehnten hat der Begriff jedoch ganz spezifische soziale, ökonomische und politische Konnotationen. Die räumlich klar abgegrenzten Siedlungseinheiten am Rand der französischen Städte sind zu Orten der Marginalisierung geworden und bergen enorme Sprengkraft.

Die gewalttätigen Unruhen, die nach dem Tod zweier Jugendlicher aus Migrantenfamilien im Herbst 2005 eine Reihe von Städten quer durch Frankreich erfassten, rüttelten nicht nur die französische Regierung auf. In vielen europäischen Staaten fragten sich Politiker, ob ähnliche Unruhen auch in ihren Ländern möglich wären.

Der soziale Rand

Banlieues als räumliche und soziale Randzonen gibt es im strengen Sinn nur in Frankreich. Doch das Beispiel USA belegt, dass sozial motivierte Gewalt auch in innerstädtischen Gebieten ausbrechen kann. Der soziale Rand der Stadt kann überall sein, betont Christoph Reinprecht, Professor für Soziologie an der Universität Wien. Randzonen entstehen überall dort, wo Menschen aus sozialen Systemen entkoppelt werden.

Mit den sozialen Rändern der Städte beschäftigen sich Soziologen und Politiker selbstverständlich nicht erst seit 2005. Doch die damaligen Ausschreitungen haben die möglicherweise unterschätzte Brisanz des Problems der Banlieue nachdrücklich vor Augen geführt. Sie haben auch Zweifel an der Wirksamkeit diverser Programme aufkommen lassen, mit denen benachteiligte Wohnviertel gefördert werden.

Konferenzen

Mit den sozialen Randzonen in europäischen Städten beschäftigte sich unter dem Titel "Banlieue Europa? Jugendunruhen - Stadt - Migration" gleich die erste Konferenz des an der Humboldt-Universität Anfang dieses Jahres neu gegründeten Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenforschung. Auch der Europäischen Union ist das Thema ein Anliegen. Unter deutscher Präsidentschaft wird die EU Ende Mai in Leipzig eine Konferenz "Integrierte Stadtentwicklungspolitik" abhalten, bei der eine Charta von Leipzig verabschiedet werden soll.

Die westeuropäische Stadt mit einer sozial integrierten Gesellschaft ist ein rezentes Phänomen, erinnert Professor Christoph Reinprecht. Manche Experten befürchten, dass sie schon bald wieder der Vergangenheit angehören könnte.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 10. April 2007, 19:05 Uhr

Buch-Tipp
Pierre Bourdieu, "Das Elend der Welt", Ins Deutsche übertragen von Franz Schultheis, UTB 2005, ISBN 9783825283155

Hartmut Häußermann (Hrsg), "An den Rändern der Städte", Suhrkamp 2004, ISBN 9783518122525