Harald Quendlers Lebenswerk

Schallplatte mit Zähnen

Das Label Extraplatte ist ein etablierter Nischenanbieter für Innovatives, Schräges und Exotisches in einem breit gefächerten Angebot aus Folk, Jazz, Worldmusic, Klassik, avanciertem Pop und zeitgenössischer Musik aus dem österreichischen Musikmarkt.

"Musiproduktions- und Verlags GmbH" steht am Türschild der Extraplatte in der Währingerstraße im 9. Wiener Gemeindebezirk. Das ist die Adresse für Label, Vertrieb und Plattengeschäft, ein so genannter "Minor" oder "Independent", der von sieben Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen "geschupft" wird. Ein Team zu klein und zu groß zu gleich, zu klein, um die immer mehr werdende Arbeit zu bewältigen, zu groß, um ins Reich der Gewinnträchtigkeit zu kommen.

Harald Quendler ist seit 26 Jahren Chef der Extraplatte. Quendler, ein Morgen -und Abendmensch, sprich: selbstausbeuterischer Vielarbeiter seit Jahrzehnten, sieht sich laut Eigendiktion in der Mainstream-misstrauischen Extraplatte als Hausmeister.

Einstieg als Aussteiger

"Ich bin ein so genannter Aussteiger", erzählt Quendler. Im Juni 1979 hat er einen lukrativen Job als Verkaufsleiter gekündigt. "Ich saß plötzlich am Bisamberg in einem schönen Haus mit einem noch schöneren Garten und hab das Grüne-Witwen-Syndrom gehabt." Nachdem er die Betreiber des Schmettersound-Studios kennen gelernt hatte, war es um ihn geschehn: Er betreute für die Extraplatte, ein Anhängsel der Schmettersound Studios, den Verkauf. "Für den damaligen Mindestlohn", erinnert sich Quendler.

Das Büro bestand damals, im ersten Akt der Geschichte der Extraplatte, aus Schreibtisch und Telefon in einem Eck des Proberaums der "Schmetterlinge".

Bewegte Zeiten

Aufbruchstimmung: 1979. Musikalische Aktivisten aus dem Umfeld des legendären Wiener Folk-Klubs Atlantis, die AKW-Gegner, die Szene um die Arena wollen, frustriert über die mangelnden Veröffentlichungschancen bei den etablierten Schallplattenfirmen, die Dinge selbst in die Hand nehmen und haben erstaunlich gute Erfolge mit Musikproduktionen, die von Musikern in Eigenregie auf die Beine gestellt und finanziert werden.

Die ersten großen Verkaufsrenner für das Kleinlabel Extraplatte waren die Platten des Vienna Art Orchestra. Etwa das mittlerweile legendäre "Jessas Na!", aufgenommen 1977.

Selbständigkeit als Nischenanbieter

1981 hat sich Quendler selbständig gemacht. Extraplatte ist als Label der Musiker entstanden, heute ist es ein etablierter Nischenanbieter für Innovatives, Schräges und Exotisches in einem breit gefächerten Angebot aus Folk, Jazz, Worldmusic, Klassik, avanciertem Pop und zeitgenössischer Musik aus dem österreichischen Musikmarkt.

Von allem Anfang an hat Quendler neben der engen Zusammenarbeit zwischen Künstler und Label ohne hierarchisches Denken das Alles-Machen gereizt und herausgefordert, von der Aufnahme über Cover- und Textheft-Gestaltung bis hin zu Promotion, Marketing und Vertrieb.

Schallplatte mit Zähnen

Das Logo, das Pickerl der Extraplatte, zeigt eine Schallplatte mit Zähnen: "Die Kreissäge ist nach einer Idee von Rudi Klein entstanden. Mir wird vorgehalten, die Kreissäge sei so aggressiv. Ich antworte dann immer: Ich weiß nicht, was du mit der Kreissäge machst, ich baue ein Haus damit."

Label, obwohl ständig in aller Munde, ist noch immer ein missverständlicher Begriff. Ursprünglich kommt er vom Pickerl her, war eine Etikettenbezeichnung und steht jetzt als pars pro toto für die Marke, die dieses Etikett als Logo der Firma benutzt. Und während die Labels bei den großen Firmen, den Majors, kreative Unterabteilungen darstellen, steht bei den kleinen unabhängigen Firmen wie der österreichischen Extraplatte die Bezeichnung Label für die ganze Firma.

Für Preisbindung bei Tonträgern

Er habe nichts gegen die Majors, so Quendler. Die Lage sei eher umgekehrt. "Ich denke mir, dass die Majors natürlich durch ihre Beherrschung des Marktes übermütig geworden sind. Was ich ihnen am meisten vorhalte ist, dass sie aus meiner Sicht mutwillig den Fachhandel zerstört haben." Auf ein breites Angebot und ausgebildetes Verkaufspersonal werde kein Wert mehr gelegt. Daher plädiert Quendler für eine Preisbindung bei Tonträgern. "Nicht um Millionär zu werden, sondern um es überhaupt finanzieren zu können."

Die Extraplatte ist Harald Quendlers Lebenswerk. In bewegten Zeiten hat er, niemandem seinen Musikgeschmack aufdrängend, vielen Musikern und Musikerinnen in Österreich erste Produktionsmöglichkeiten geboten, Ansporn gegeben und Mut gemacht. Und das ohne auf Verkaufszahlen zu schielen und ohne Beleidigtsein, wenn die MusikerInnen das Sprungbrett für Auftritte bei größeren Labels zu nutzen wussten. Von seiner Arbeit und seinem Engagement haben auch die Lokalszene, die Veranstalterszene, die Medien profitiert.

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