Diktatorenroman in lateinamerikanischer Tradition
Wie Hunde sterben
"Wie Hunde sterben" steht in der lateinamerikanischen Tradition des Diktatorenromans, auch wenn hier der Despot einen fiktiven Namen trägt. Der Autor, Francisco Ayala, machte mit Diktaturen reichlich Erfahrung: in Spanien und in Deutschland.
8. April 2017, 21:58
Es ist ein recht verwirrendes Buch. Dabei ist der Kern der Geschichte in drei Sätzen erzählt: Ein lateinamerikanischer Diktator lässt aus einem Dorf in der Provinz einen jungen Mann holen, lässt ihn im Schnellverfahren zum Juristen ausbilden und macht ihn zu seinem Privatsekretär. Nachdem dieser Privatsekretär - es ist der uneheliche Sohn des Diktators, wird vermutet - von seinem Herrn und Vater alles Nötige gelernt hat - die Kunst der Intrige, die Skrupellosigkeit bei der Verfolgung von Gegnern - beseitigt er den Diktator - und wird kurz darauf selbst beseitigt. Ein eher im Dunkeln bleibender Ich-Erzähler gelangt in den Besitz des Tagebuchs des ermordeten Mörders und verfasst mit Hilfe ausgiebiger Zitate daraus die Chronik der Tragödie, die blutige Zeitgeschichte seines Landes.
Während sich alle um mich herum im Gebrauch des Fleischermessers oder der Machete üben, wenn nicht gar der Pistole, bediene ich mich der Feder: mit nicht minder messerscharfem Vergnügen.
Langsamkeit mit Methode
So weit, so gut. Ein wenig konstruiert vielleicht, aber daraus wird gar kein Hehl gemacht. Fast im Gegenteil: Hier wird mit dem Handicap gespielt. Wenn die Karten schon so offen auf dem Tisch liegen, das Ende vorweggenommen wurde, was kann da noch erzählt werden auf den restlichen 350 Seiten?
Zunächst einmal: Es wird recht ausführlich erzählt, auch ein wenig behäbig. Das liegt vielleicht an den bald 50 Jahren, seit das Buch geschrieben wurde, aber nicht nur - das hat auch Methode. Da werden nicht einfach Ereignisse aufgezählt, sondern man nähert sich ihnen vorsichtig kreisend, tastend, immer wieder prüfend, immer wieder neue Einzelheiten ins Spiel bringend.
Erfahrung mit Diktaturen
Francisco Ayala hatte mit Diktaturen reichlich Erfahrung. Als Jugendlicher erlebt er die Diktatur Diego Primo de Riveras in Spanien, als Student geht er nach Deutschland, in das, wie er meint, intellektuelle Zentrum Europas, nur um dort den Aufstieg des Nationalsozialismus mitzuerleben; er berichtet darüber für spanische Zeitschriften. Nach dem Sieg Francos lässt Ayala sich in Argentinien nieder.
"Wie Hunde sterben" steht in der lateinamerikanischen Tradition des Diktatorenromans. Auch hier trägt der Despot einen fiktiven Namen; die Handlung könnte in irgendeinem mittel- oder südamerikanischen Operettenstaat spielen. Einzig die Gattin des Diktators, die Primera Dama, trägt deutliche Züge von Evita Perón. Der erste Mann im Staat bleibt dagegen merkwürdig konturlos.
Presidente Bocanegra höchstselbst, Bocanegra leibhaftig, mit seinem stechenden Blick und dem buschigen, herabhängenden Schnurrbart, den ich nur zu gut vom Bild in der Kantine kannte; allerdings, klar, ohne die Schärpe schräg über der Brust. Ihre Exzellenz saß als einzige Person inmitten der erlauchten Gesellschaft, und zwar thronte er auf der Latrine (oder, wie ich bald darauf lernte, auf dem Klosett), und von diesem Sitz aus präsidierte er seinen Würdenträgern.
Mit reichlich Humor gewürzt
Einbrüche des Komischen, die man dankbar annimmt im eher trägen Fluss der Handlung und die ihre Spannung vor allem aus der immer rätselhafteren Figur des Chronisten bezieht. Viele Fragen bleiben, auch die nach dem Buch selbst. Wie ist diese Erzählung und zugleich Nicht-Erzählung zu verstehen? Es scheint nahe liegend und ist auch vermutet worden, Ayala, im Hauptberuf Professor für Soziologie, hätte so etwas wie eine Analyse totalitärer Herrschaft leisten wollen, eben in Romanform.
Ich würde die Deutung variieren und behaupten: Ayala ging es in diesem Buch um die Sprache; um Sprache unter den Bedingungen von Terror und Angst. "Wie Hunde sterben" dreht sich um die Deformation des Schreibens bzw. des Denkens durch Gewalt und Macht. So wie Ayala sie selbst in seinem 100-jährigen Leben unter verschiedenen Regimes erfahren hat. Schreiben als verletzliche, als schutzbedürftige Sphäre des Geistes - ist es das, was uns Ayalas Buch von 1958 sagen will? Noch können wir den Verfasser fragen.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Francisco Ayala, "Wie Hunde sterben", Manesse Verlag 2006, ISBN 9783717520962