Gamal Al-Ghitanis Buchexpedition nach Ägypten

Literarische Pyramiden

Vierzehn Geschichten über die Pyramiden. Vierzehn Geschichten, deren letzte Zeilen in einer auf den Kopf gestellten Pyramide enden. Vierzehn Geschichten, immer kürzer werdend, immer magischer, rätselhafter, bis nur mehr drei Worte übrig bleiben.

Texte wie umgedrehte Pyramiden? Sprachmagie? Das passt eigentlich nicht so sehr in das Bild, das bislang im deutschsprachigen Raum von Gamal al-Ghitani entstanden ist. Er gehört eher zur "handfesten Sorte“, zu den Autoren, die auf sprachgewandte, satirische und bissige Weise die Realität geißeln.

Die Seuche Impotenz

Gamal al-Ghitanis erster ins Deutsche übersetzte Roman dreht sich um den Fluch des Fundamentalismus, ausgelöst durch einen Weisen namens Scheich Atija. Dieser Scheich hat in jahrelanger Isolation in einem engen dunklen Raum eines halbverfallenen Hauses irgendwo in Kairo Kenntnis von der einzig gottgefälligen Lebensweise erlangt.

Und weil die Menschheit ein einziger Sündenpfuhl ist, beschließt Scheich Atja, dass nur eine höchst drastische Maßnahme die einzig gottgefällige Lebensweise aller Menschen gewährleisten kann: Impotenz. Von seinem Wohnsitz im Altstadtviertel Safran breitet sie sich wie eine unheilbare und unaufhaltbare Seuche aus.

Der safranische Fluch

Scheich Atija wurde 1973 von Gamal al-Ghitani erfunden. 28 Jahre war er damals alt, eine halbjährige Gefängnisstrafe hatte er schon hinter sich, zwei Kriege bereits erlebt, der dritte stand unmittelbar bevor. Und Sadat persönlich hatte ihm die Gelegenheit zum Schreiben dieses Romans verschafft. Per Zwangsurlaub. Berufsverbot, könnte man auch sagen. Und was macht ein Journalist, wenn er nicht arbeiten darf? Genau: er schreibt einen Roman ...

"Der safranische Fluch oder Wie Impotenz die Welt verbessert“, eine Vision, die sich drei Jahre später im Iran des Ayatollah Chomeini realisiert hat, ist Quasi-Fortsetzung seines ersten Romans "Seini Barakat. Diener des Sultans, Freund des Volkes“, der die historische Nahtstelle zwischen der Mamluken- und der Osmanenherrschaft Anfang des 16. Jahrhunderts beschreibt. Als Quelle verwendete al-Ghitani einen der Klassiker der arabischen Geschichtsschreibung - die sehr genaue Chronik des Ibn Ijas. Auch dieser erste Roman ist den Behörden ein Dorn im Auge: Es geht um die Wandlung eines Volkshelden zum Volksunterdrücker, gesehen aus der Sicht eines Fremden, des venezianischen Reisenden Viasconti Gianti, dem gewisse herrschaftssichernde Vorgangsweisen auch nicht ganz unbekannt gewesen sein dürften.

"Alte Schwarten" als Schreibgrundlage

Dass sich Gamal al-Ghitani entgegen dem Trend ("angesagt“ war damals Sartre, Faulkner, Hemingway, Tolstoj, Thomas Mann und so weiter) mit den Klassikern der arabischen Literatur auseinander setzte, hatte seinen Grund zunächst einmal darin, dass seine Eltern vom "platten Land“ in die Altstadt von Kairo gezogen waren: "Man kann nicht zwischen uralten Häusern leben, ohne sich vorzustellen, wie es wohl früher hier zugegangen ist“, meint er und erinnert sich liebevoll an Scheich Tihama, den Buchhändler auf seinem Schulweg, bei dem er die "alten Schwarten“ ausgegraben hat.

Der andere Grund war Nagib Machfus, dessen Kairoer Trilogie genau in diesen alten Vierteln spielte, und der auch da lebte. Ihm ist er zum ersten Mal als Fünfzehn- oder Sechzehnjähriger begegnet. Angesprochen hat er Ihn aber erst im Sommer 1963, um Ihm seine erste Kurzgeschichte, die in der Beiruter Literaturzeitschrift „al-Adib“ erschienen war, zu überreichen. Schon am nächsten Tag sagte Machfus, er habe die Geschichte gelesen, sie sei gut und habe ihm gefallen. "Dabei erschien auf seinem Gesicht jener Ausdruck, den ich später noch so gut kennen lernen sollte“, lächelt Gamal al-Ghitani, "diese Art Leuchten, die alles auszeichnete, was ihm gefiel“. Bei jener Gelegenheit führte Er ihn in den erlauchten Kreis des Opernklubs ein ...

Mittler zwischen Abend- und Morgenland

Heute gehört Ghamal al Ghitani selbst zum Kreis der wichtigen Persönlichkeiten. Als Herausgeber der Literaturzeitschrift "Akbar al-Adab“ (Auflage 70.000) ist er der wichtigste Förderer der jungen arabischen Literatur, die sich langsam ein neues Veröffentlichungsfeld erobert: das Internet.

Der in Kairo aufgewachsene Schriftsteller will Mittler zwischen dem "Abendland“ und dem "Morgenland“ sein, gerade in Zeiten wie diesen, auch mit magisch-rätselhaft-geheimnisvollen Texten in Pyramidenform.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 30. November 2006, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Gamal al-Ghitani, "Pyramiden - Eine literarische Expedition", C. H. Beck Verlag, ISBN 3406542042

Gamal al-Ghitani, "Der safranische Fluch oder Wie Impotenz die Welt verbessert", dtv, ISBN 3353008284

Gamal al-Ghitani, "Seini Barakat, Diener des Sultans, Freund des Volkes", Lenos Pocket, ISBN 3857876352

Links
Die Marabout Seite -Gamal al-Ghitani
Public Broadcasting Service - Nova online: Pyramids