Flucht in das Unbekannte
Exil in Shanghai
Nach den November-Pogromen 1938 entwickelte sich Shanghai rasch zu einem der wichtigsten Ziele für Juden aus Westeuropa, die Zuflucht vor den Nationalsozialisten suchten. Dieser Emigranten gedenken nun zwei Ausstellungen im Jüdischen Museum in Wien.
8. April 2017, 21:58
"Ich war ein Jahr und ein Tag alt, als wir 1939 nach Shanghai gekommen sind. Für mich war es Heimat, und für mich ist heute noch meine Heimat, erzählt Mary Steinhauser. Wie viele andere Emigranten traten ihre Eltern Ende der 1930er Jahre die Reise nach Shanghai an, das sich nach den November-Pogromen 1938 rasch zu einem der wichtigsten Ziele entwickelte. Zwischen 16.000 und 18.000 Juden aus Westeuropa suchten in Shanghai Zuflucht vor den Nationalsozialisten, darunter rund 4.000 Österreicher.
Dieser Emigranten gedenken nun zwei Ausstellungen im Jüdischen Museum: eine Fotodokumentation sowie eine Gedenkschau an Jakob Rosenfeld, dem 1939 die Flucht aus dem Konzentrationslager nach Shanghai gelang. Der aus Wöllersdorf in Niederösterreich gebürtige Arzt trat in China der Armee Mao Zedongs bei und brachte es dort bis zum General und Gesundheitsminister.
Eine unbekannte Stadt
Shanghai war damals eine der größten Städte der Welt. Seit die Europäer Mitte des 19. Jahrhunderts mit Kanonenbooten das Recht auf Ansiedlung, freien Handel, Grundbesitz und sogar die Stationierung von Truppen erzwungen hatten, gab es eine von Nicht-Chinesen regierte Stadt in der Stadt - die so genannte Internationale Konzession. Banken, mondäne Einkaufsstraßen und ein reges Nachtleben prägten Shanghai, das zugleich aber auch Synonym für Kriminalität, Prostitution und Krankheit war.
Die meisten Juden, die sich nach Shanghai einschifften, wussten indes nur wenig über die Stadt. Es war für sie das Ende der Welt, ein Ort, für den man sich mangels Alternativen entschied. Zu einer Zeit, da die meisten Länder sehr restriktiv bei der Aufnahme von Flüchtlingen vorgingen, benötigte man für Shanghai zunächst nicht einmal ein Visum.
Ein Leben im Wartesaal
Nach ihrer Ankunft wurden die Flüchtlinge finanziell und organisatorisch von spontan gegründeten örtlichen Hilfsorganisationen unterstützt. Die Emigranten versuchten selbst ihr Möglichstes, um irgendwelche Jobs zu bekommen. Trotz der Armut und Unsicherheit dieses "Lebens im Wartesaal zeichnete sich die Shanghaier Exilgemeinde insbesondere durch das kulturelle Leben aus, das zumal die Emigranten aus Österreich und Deutschland in kürzester Zeit aufzogen.
Nach der Kapitulation Japans und dem Ende des Pazifikkrieges nahm die westliche Welt vom Schicksal der Shanghaier Exilgemeinde zunächst kaum Notiz. Erst Mitte bis Ende 1947 kehrten größere Gruppen von Exilanten nach Deutschland und Österreich zurück, die Mehrheit ging allerdings in andere Länder.
In Shanghai wurde 1988 das Zentrum für Jüdische Studien gegründet. Dessen Leiter, der Historiker Pan Guang, war in diesem Jahr der erste Träger des Austrian Holocaust Memorial Award (AHMA), der 2006 vom Österreichischen Auslandsdienst ins Leben gerufen wurde.
Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 2. November 2006, 19:05 Uhr
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Buch-Tipps
Georg Armbrüster, Michael Kohlstruck, Sonja Mühlberger (Hrsg.), "Exil Shanghai 1938-1947. Jüdisches Leben in der Emigration", Verlag Hentrich & Hentrich, ISBN 3933471192
Adolf Josef Storfer (Hrsg.),. "Gelbe Post, Nachdruck, Ostasiatische illustrierte Halbmonatschrift Reprint der Shanghaier Exilzeitschrift von 1939, mit einer Dokumentation von Paul Rosdy", Verlag Turia und Kant, ISBN 385132210
Franziska Tausig, "Shanghai Passage. Emigration ins Ghetto", Milena-Verlag, ISBN 3852861446
Vivian J. Kaplan, "Von Wien nach Shanghai. Die Flucht einer jüdischen Familie", Dtv-Verlag, ISBN 3423245506
Link
Jüdisches Museum Wien