Vater-Sohn-Konflikt

Die Reise über den Hudson

Nicht ganz von ungefähr kommt die Auseinandersetzung mit dem Vater-Sohn-Thema, die Peter Stephan Jungk in seinem neuen Roman zum Thema macht. Als Sohn des Futurologen Robert Jungk kennt er die Sonnen- und Schattenseiten des Lebens mit einer Berühmtheit.

Wie auf jeder großen Brücke hatte Gustav auch hier das Gefühl, in einen traumverwandten Schwebezustand versetzt zu sein. Mächtige Brücken zu überqueren erlebte er seit den ersten Lebensjahren als die dem Fliegen verwandteste Fortbewegungsart. Jede Brücke, ob in seinen Heimatstädten New York und Wien, ob sie auf Reisen auftauchte oder in Büchern, Zeitschriften, auf Privatfotos abgebildet war, ob er auf einer Brücke stand oder sie nur von weitem zu sehen bekam - alles ließ ihn kleine Herzschübe verspüren, verankerte ihn im Diesseits, ließ ihn zugleich Unaussprechliches, Unberührbares erahnen.

Eine Brücke spielt die eigentliche Hauptrolle im neuen Roman von Peter Stephan Jungk - genauer: die Tappan-Zee-Brücke, die den Hudson-River überspannt. Auf dieser Brücke steckt Gustav Rubin im Stau, zusammen mit seiner quengelnde Mutter und den Erinnerungen an seinen berühmten Vater, einen Philosophen, Physiker, Lyriker und Lebemann.

Sohn eines berühmten Vaters

Nicht ganz von ungefähr kommt die Auseinandersetzung mit dem Vater-Sohn-Thema - denn auch Peter Stephan Jungk kennt als Sohn des Futurologen Robert Jungk die Sonnen- und Schattenseiten des Lebens mit einer Berühmtheit.

Freilich ist der Roman "Die Reise über den Hudson" alles andere als eine autobiographische Aufarbeitung von Jungks Vergangenheit. Gustav Rubin hat durchaus seine Probleme mit dem Status seines Vaters - ganz im Gegensatz zu Peter Stephan Jungk:

"Ich habe unter diesem Vater nie zu leiden gehabt. Und unter seinem Ruhm weder gelitten, noch ihn als besonders erdrückend empfunden, weil ich Gott sei Dank ziemlich bald einen eigenen Weg gefunden habe, nämlich die Prosaarbeit. Bei meinen allerersten Kurzgeschichten war mein Vater bereits überrascht, dass ich das überhaupt kann, und gleichzeitig ein bisschen neidisch, weil er eigentlich immer Romanautor werden wollte."

Ansporn und Bremse zugleich

Für Gustav Rubin ist der Ruhm seines Vaters gleichzeitig Ansporn und Bremse. Seine geplante Karriere als Historiker verläuft im Sand, schließlich wird er Pelzhändler in Wien und entdeckt zum Entsetzen seiner Eltern den Drang, sich mit seinen jüdisch-orthodoxen Wurzeln auseinanderzusetzen - auch dies eine biografische Parallele zu Peter Stephan Jungks eigenen Erinnerungen.

So ist es kein Zufall, dass Jungks Roman ausgerechnet am Freitagabend spielt, kurz vor Einbruch der Dunkelheit und dem Beginn des Sabbats, den Gustav Rubin wegen des Verkehrsstaus auf der Brücke zu versäumen droht. Während rund um ihn hilflose Autofahrer warten, begibt er sich auf eine gedankliche Reise in seine Vergangenheit, eine Reise, auf der nur seine zwar besserwisserische, aber doch auch irgendwie rührende Mutter ihn begleiten kann.

Erinnerungen

Er erinnert sich an seine Kindheit, als sein Vater den unumstrittenen Mittelpunkt der Familie bildete, an Streitigkeiten und Diskussionen, aber auch an die liebevollen Momente, in denen Vater und Sohn sich näher kamen.

Unterstützt werden diese Erinnerungen von einem ungewöhnlichen Bild. Mit diesem Bild lässt Jungk seinen Roman an der Schwelle zur Phantastik balancieren - ein gelungener und glaubwürdiger Balanceakt, der dem Buch erst seinen besonderen Reiz verleiht.

Heiter und hintergründig

Drei Jahre hat der Autor an seinem Roman geschrieben - für ihn eine lange Zeit. Immer wieder habe er sprachliche Brücken bauen müssen, um über Abgründe hinwegzukommen, sagt er. Herausgekommen ist ein liebevoller, heiterer und hintergründiger Roman, ohne Bitterkeit oder Sarkasmus, ein Roman, der sich dem Vater-Sohn-Konflikt auf eine ganz neue Weise annähert und in der Rückschau nachdenklich, aber niemals wehleidig wird. Ein Buch, das nicht psychologisiert oder moralisiert, sondern schlicht erzählt - und das, so hofft Peter Stephan Jungk, auch für den einen oder anderen Leser einen tieferen Sinn offenbaren könnte.

Service

Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Peter Stephan Jungk: "Die Reise über den Hudson”, Klett-Cotta Verlag, ISBN 3608934693