Ein Buch pro Monat

Wer ist Morel?

Ein Jahr lang jedes Monat ein Lieblingsbuch lesen und notieren, was einem dazu einfällt, könnte auch für Sie ein nette Aufgabe sein. "Tagebuch eines Lesers" hat Alberto Manguel seine zwölf Meditationen genannt. "Morels Erfindung" eröffnet den Reigen.

Eine der Zeit raubendsten Tätigkeiten für einen Büchernarren ist es, mit Büchern zu hantieren. Das Einsortieren neu hinzugekommener Bände in schon vorhandene Bibliotheken etwa erfordert nicht unbeträchtliche Denkarbeit, vor allem wenn die Regale voll sind. Welche Bücher müssen an einen anderen Platz? Und wie logisch ist dieser Platzwechsel? Man sollte das Buch ja wieder finden - falls man sein Katalogsystem bloß im Hirn hat!

Ganz und gar unerträglich ist das Bücher-Aussortieren, himmlisch dagegen, völlig leere Regale mit Büchern zu füllen. Und ab und zu in das eine oder andere Buch hineinzuschauen und eventuell sogar ein wenig zu schmökern. Diese wunderbare Aufgabe hat Alberto Manguel, argentinischer Autor und Büchernarr, im Frühsommer 2002 auf die Idee gebracht, ein Jahr lang über seine Lieblingsbücher zu meditieren.

Verbeugung vor Borges?

Ob es Zufall ist, dass Manguel seinen Lesereigen mit Adolfo Bioy Casares 1940 entstandenen berühmtesten Roman "Morels Erfindung" beginnt? Oder eine weitere Verbeugung vor seinem alten Bekannten Bioy Casares, dem Freund seines ersten (und blinden) Arbeitgebers Jorge Luis Borges, der ihn als Vorleser engagiert hat?

Oder war es wieder einmal der erste Satz dieses Romans? "Heute ist auf der Insel hier ein Wunder geschehen." (Wobei der zweite Satz mindestens genauso aufmerksamkeitserregend ist: "Der Sommer ist vorzeitig hereingebrochen." Ein Wunder, auf das wir noch warten.) Eine angeblich verseuchte Insel. Ein entflohener Strafgefangener. Eine Gesellschaft fröhlicher Menschen, die sich absolut nicht um das kontaminierte Klima scheren. Und Morel, der die Gesellschaft über seine Bahn brechende Erfindung aufklärt.

Oder das Sujet des Buches: die Erfindung, die Zeit und Tod besiegt, und die so reale Abbilder der Wirklichkeit erzeugt, dass die Bilder nicht mehr von der Realität zu unterscheiden sind?

Einer der wichtigsten Romane Argentiniens

Tatsache ist: "Morels Erfindung" gilt als einer der wichtigsten Romane Argentiniens und machte Bioy Casares international bekannt. Jorge Luis Borges schrieb:

Ich habe mit dem Autor die Details der Handlung seines Buchs diskutiert, ich habe es erneut gelesen; es scheint mir weder eine Ungenauigkeit noch eine Übertreibung zu sein, es vollkommen zu nennen.

Das Buch scheint auch heute noch einen Nerv zu treffen, im Angesicht der viel diskutierten digitalen, möglichen Erlebniswelten.

Oper und Film

Fasziniert vom Roman war auch der Komponist Reinhard Febel, dessen einaktige Oper "Morels Erfindung" am 6. November 1994 im Stadttheaters Darmstadt uraufgeführt wurde. Einer Verfilmung hat sich der Stoff lange entzogen. Erst der argentinische Spezialist für Phantastisches, David Lamelas, wagte sich nach vielen Jahren Vorarbeit an die Fabel um Sein und Schein. Der 22 Minuten lange Streifen "The Invention of Dr. Morel" erschien im Jahr 2000.

Service

Adolfo Bioy Casares, "Morels Erfindung", übersetzt von Gisbert Haefs, Suhrkamp Verlag, ISBN 3518414267

Alberto Manguel, "Tagebuch eines Lesers", übersetzt von Chris Hirte, S. Fischer Verlag, ISBN 3100487516