Kritikpunkte und Präventionsmaßnahmen

Freitod ist kein Ausweg

15 Selbstmorde jährlich in österreichischen Haftanstalten: Die Rate ist höher als in anderen Ländern. Daher wird nun in fünf Gefängnissen in Österreich versucht, mit Hilfe von Präventionsprojekten Häftlings-Selbstmorde zu verhindern.

Suizid gefährdete Häftlinge berichten

Nicht nur lebenslängliche Häftlinge versuchen durch Selbstmord, einem Leben hinter Gittern ohne Aussicht auf Freiheit zu entfliehen. Auch Insassen, die eine Perspektive auf Freilassung haben, begehen Selbstmord.

Von den Zellengenossen unbemerkt

Er rammte sich ein Messer in den Bauch. Unter der Bettdecke. Seine Mithäftlinge saßen daneben am Tisch und spielten Karten. Keine lauten Schreie. Alles ging unbemerkt von den anderen vor sich.

"Die Mithäftlinge haben gesagt, sie haben nur ein leichtes Röcheln gehört“, erzählt Stefan Fuchs, Leiter der Justizanstalt Innsbruck, von einem der spektakulärsten Selbstmorde in der Gefängnisgeschichte. Als die Wachbeamten in die Zelle gerufen wurden, kam für den Häftling jede Hilfe zu spät.

Damit das Ganze ein Ende hat

Auch als Frank (Name von der Redaktion geändert) in Untersuchungshaft war, sprach sein Zellengenosse täglich von Selbstmord: "Er hat gesagt, dass er sich umbringt, dass er das nicht packt“, erinnert er sich.

Der junge Koch mit den flachsblonden Haaren sitzt wegen Drogenhandels. Auch er war gefährdet, erzählt er: "Längere Zeit hab ich mir überlegt, ob ich irgend etwas machen soll, damit das Ganze ein Ende hat“.

Haftschock

Die Ankunft im Gefängnis ist wie für Frank auch für viele andere purer Stress: "Da schläft einem schon das Gesicht ein. Du bist schockiert und planlos, schläfst nichts und denkst die ganze Zeit nach, was auf dich zukommt!“

"Auch eine Abnahme von zwischenmenschlichen Beziehungen wird durch die Haft gefördert“, ergänzt Evelyne Krismer, Psychologin in der Justizanstalt Innsbruck. Meistens hätten viele auch große Angst und falsche Vorstellungen vom Gefängnis. "Die meisten kennen das Gefängnis von Fernsehsendungen“, sagt die Psychologin: "Immer wieder kommt es in dieser Zeit zu Suiziden."

Das "Listener"-Modell

Ein Projekt zur Suizidprävention im Innsbrucker Gefängnis gibt Aussicht auf Verbesserung der Situation. Es orientiert sich am englischen "Listener“-(Zuhörer)-Modell. Dabei unterstützen Häftlinge Neuankömmlinge bei Krisen. Es sei nicht so leicht geeignete Häftlinge zu finden, erzählt Psychologin Evelyne Krismer. Die Insassen sollen in Strafhaft sein, über soziale Kompetenz verfügen und hilfsbereit sein.

Zur Zeit gibt es zwei "Listener". Einer von ihnen ist Manni (Name von der Redaktion geändert). Er sitzt schon zum zweiten Mal und kann sich gut in die Neuen hineinfühlen: "Man versucht zuzuhören und selber von seinen Erfahrungen zu erzählen“, erklärt er. Alle 14 Tage werden die "Listener" von Sozialarbeitern und Psychologen in Sitzungen geschult.

Leute nicht einfach einsperren

Pro Jahr nehmen sich in österreichischen Gefängnissen bis zu 15 Häftlinge das Leben, ermittelte der niederösterreichische Psychiater Stefan Frühwald: "Leute, die auf Grund von Gewalttaten inhaftiert werden, haben auch ein höheres Risiko, autoaggressiv zu versterben“, erklärt er, was hinter den Zahlen steht.

Es reiche nicht, Leute einfach einzusperren und ihnen wenig bis keine Betreuung anzubieten. Es handle sich sehr häufig um psychisch Kranke, und die Gefängnisse seien zu wenig darauf vorbereitet, glaubt der Psychiater.

Vom Justizministerium verlautet in diesem Zusammenhang, dass ab Herbst in allen österreichischen Gefängnissen psychische Erkrankungen besser identifiziert werden sollen.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 14. Februar 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Erwin Ringel, "Selbstmordverhütung, Klotz, Eschborn, ISBN 3880742243

Links
Justizministerium
Fortbildungszentrum Strafvollzug
Stefan Fuchs
Stefan Frühwald