Zukunft der Medikamentenproduktion?

Molecular Farming

Wirkstoffe für Medikamente gegen HIV, Diabetes oder Tuberkulose sollen in Zukunft auf dem Acker wachsen. So zumindest lautet die Vision von Wissenschaftlern, die derzeit intensiv die Möglichkeiten des so genannten “Molecular Farming” erforschen.

Bei “Molecular Farming" werden Pflanzen mittels gentechnischer Methoden so verändert, dass sie bestimmte Proteine - wie zum Beispiel Antikörper gegen HIV - in ihren Blättern, Wurzeln oder Früchten produzieren.

Im Vergleich zur Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen in Kulturen aus tierischen Zellen oder Bakterien soll Molecular Farming die Medikamentenproduktion billiger machen.

Internationale Forschungsgruppe

Die Idee, Pflanzen als Produktionsplattform für medizinische Wirkstoffe einzusetzen, ist grundsätzlich nicht neu. Es gibt bereits mehrere Forschergruppen weltweit, die gezielt Proteine aus Pflanzen gewinnen.

Der große Durchbruch ließ bisher aber auf sich warten. Denn bei der Gewinnung von Pharmazeutika aus Pflanzen müssen zahlreiche biologische, ökologische, medizinische, pharmakologische und rechtliche Aspekte berücksichtigt werden.

Da eine einzelne Forschergruppe mit diesen Aufgaben überfordert wäre, hat sich vor einem Jahr ein internationales und interdisziplinäres Team aus 39 Forschungsgruppen aus elf Ländern zusammengetan - das “Pharma Planta" Konsortium. Das Konsortium wird von der Europäischen Union aus dem 6. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung mit zwölf Millionen Euro finanziert und soll fünf Jahre laufen. Am Ende sollen erste vorklinische Studien für einzelne Produkte abgeschlossen sein.

HIV-Antikörper aus der Pflanze

Am europäischen Molecular Farming-Projekt sind auch zwei Abteilungen der Wiener Universität für Bodenkultur und die aus der BOKU entstandene Firma Polymun beteiligt.

Im Rahmen des Projektes wird versucht, Antikörper gegen HIV in Pflanzen herzustellen. Bisher werden die aus Patienten isolierten Antikörper, die HI-Viren neutralisieren können, in tierischen Zellkulturen vermehrt - und zwar konkret in Hamsterzellen.

Die klinischen Studien mit den in Zellkulturen vermehrten Antikörpern sind bisher sehr erfolgreich verlaufen. Nun wird untersucht, ob diese Antikörper auch von Pflanzen hergestellt werden können.

Ertrag steigern

Die Antikörper wurden bereits in Zellkulturen von Tabakpflanzen produziert und mit den Antikörpern aus den Hamsterzell-Kulturen verglichen. Die ersten Ergebnisse haben gezeigt, dass die Pflanze im Prinzip als Produktionsplattform für die HIV-Antikörper geeignet ist.

Derzeit sind allerdings der Ertrag und die Wirksamkeit bei der Neutralisierung der Viren noch zu gering. Deshalb testen die Forscher auch andere Pflanzenarten und -sorten und veränderte Methoden, um die Produktivität zu erhöhen.

Außerdem, so Friedrich Altmann von der Abteilung für Chemie der Universität für Bodenkultur, müssten die Zuckeranhängsel der Proteine "humanisiert" werden, um die Therapeutika verträglicher und wirksamer zu machen. Mit Hamsterzellen würden diese Zuckeranhängsel so zusammengesetzt, dass sie jenen in menschlichen Zellen ähnlich seien. Eine Pflanze mache das natürlicherweise nicht.

Chance

Molecular Farming könnte die Herstellung von Medikamenten eventuell billiger machen, so Friedemann Hesse vom Institut für Angewandte Mikrobiologie der Universität für Bodenkultur, und das sei besonders für Entwicklungsländer wichtig.

In diesen Ländern könnten die Pflanzen eventuell auch gleich direkt angebaut oder verarbeitet werden, meinen die an Pharma Planta beteiligten Forscher.

Risiko

Armin Spök vom Internuniversitären Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur in Klagenfurt, der sich mit Risikoabschätzung und Risikomanagement in Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Pflanzen beschäftigt, stellt das jedoch in Frage.

Bei der Kostenabschätzung werde oft auf die Folgekosten für Sicherheitsmaßnahmen vergessen - und die könnten sehr hoch werden. Da die Pflanzen pharmazeutische Wirkstoffe enthalten, dürften sie nicht mit Pflanzen vermischt oder irrtümlich gekreuzt werden, die als Futtermittel oder Nahrungsmittel dienen. Deshalb würden in den USA und in Kanada, wo Molecular Farming bereits weiter fortgeschritten sei, eine Fülle von Maßnahmen und gesetzlichen Regelungen überlegt.

Es sei deshalb zu überlegen, ob die pflanzlichen Pharmafabriken wirklich auf dem Acker wachsen müssen, oder ob nicht alternative Herstellungsmethoden aus pflanzlichen Zellkulturen oder in geschlossenen Anlagen besser geeignet wären.

Download-Tipp
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Links
Fraunhofer IME - Pioniere des Molecular Farming
IFZ - Interuniversitäres Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur - Risikoforscher Armin Spök
Pharma Planta Konsortium
Universität für Bodenkultur
Polymun - spin off der BOKU
Society for Moleculture